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Fußball-EM: Warum Frankreich die isländischen Fans so liebt

Die Isländer sind die Überraschung dieser Fußball-Europameisterschaft. Nach ihrem Sieg gegen Österreich stehen sie im Achtelfinale gegen England. Besonders beliebt sind die isländischen Fans. Die Franzosen nennen sie liebevoll „Ruligans“.
von Christoph Ruf · 23. Juni 2016
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Alfred Gunnarsson hat keine Chance. Kaum ist er an der Station „Invalides“ dem Pariser Metroschacht entstiegen, wird er mit seinem Island-Trikot erkannt, gegrüßt und geherzt. Eine ältere Dame wünscht „bon courage“, ein deutscher Fan, der mit der Gattin abends zum deutschen Spiel in den Prinzenpark gehen will, nimmt sich mehr Zeit. Ausführlich erklärt er dem Kollegen aus dem Norden, wie toll er es findet, dass Island sich so gut schlägt bei dieser EM. Dann klopft er ihm auf die Schulter und wünscht alles Gute für das nächste Spiel.

Bei der ersten EM-Teilnahme gleich im Achtelfinale

Gunnarsson ist schon vier Tage vor Turnierbeginn mit ein paar Freuden zur EM gereist ist. Dass er und die anderen isländischen Fans in Frankreich mit Zuneigung überschüttet werden, das ist nichts Neues. „In St. Etienne und in Marseille war das genauso wie jetzt in Paris. Damit hätten wir nicht gerechnet.“ Auch dass sie dort gegen Portugal und Ungarn 1:1 spielen würden, war nicht eingeplant. Übertroffen wurde das alles aber vom ersten Sieg bei einer Europameisterschaft, dem 2:1 gegen Österreich am Mittwochabend. Island steht bei seiner ersten EM-Teilnahme im Achtelfinale, als Zweiter der Gruppe F, punktgleich mit dem Gruppenersten Ungarn – und vor den Fußballnationen Portugal und Österreich.

20.000 Isländer sind derzeit in Frankreich im Tross ihrer Nationalmannschaft unterwegs, sechs Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist so, als wären 4,8 Millionen Deutsche im Land. Und bei dieser EM haben sich die isländischen Fans zu den Stars der Innenstädte entwickelt. Wo sie auftauchen, werden sie mit Zuneigung überschüttet – sei es von den Franzosen oder von den Fans anderer Nationen. Woran das liegt, merkt jeder, der die oft größeren Gruppen beobachtet. Einige von ihnen bestellen bereits morgens um neun ein Bierchen zum Croissant. Doch von unflätigem Benehmen, Pöbeleien oder Aggressionen keine Spur. Das ist der Grund, warum die isländischen Fans in Frankreich den Namen „Ruligans“ verpasst bekommen haben. Weil sie trinkfest sind wie man es Hooligans unterstellt, sich im Gegensatz zu denen aber an die Regeln („rules“) halten.

Eine Mannschaft aus dem Volk

Natürlich profitieren sie auch vom Underdog-Status – genau wie die Fans aus Nordirland oder Wales, die ebenfalls viel Sympathie ernten. Island hat nicht einmal 330.000 Einwohner – in Bochum leben mehr Menschen. Bereits im September standen die Fußballzwerge dennoch als EM-Teilnehmer fest, mit neun Punkten Vorsprung vor den Niederlanden, gegen die man zwei Mal gewann, wurde Island Gruppenerster. Gefeiert wurde zusammen mit den Leuten auf den Straßen von Reykjavik. Selbstverständlich ohne Security, wie Gunnarsson berichtet. „Wir sehen die Spieler nicht als die großen Stars – auch wenn sie alle im Ausland spielen.“

In Island kann wegen des rauen Klimas nur zwischen Mai und Oktober auf grünem Rasen gespielt werden. Dafür gibt es in fast jedem Dorf einen Kunstrasenplatz, sieben Fußballhallen kommen dazu. 22.000 Aktive zählt das Land, darunter über 7000 Frauen, 800 Trainer haben eine Uefa-Lizenz. Das isländische Fußballwunder ist zwar überraschend, aber nicht grundlos. „Wir haben gezeigt, dass nichts unmöglich ist, wenn man mit der richtigen Einstellung und dem richtigen Geist zu Werke geht“, sagt auch Gylfi Sigurdsson.

Der zwölfte Mann

Der 26-Jährige, der auch mal in Hoffenheim spielte, ist der Star des Teams – und der Lieblingsspieler von Alfreds Sohn. Der ist zu Hause geblieben und hat dem Vater via Skype berichtet, dass er ihn vermisst. Vater Alfred geht das umgekehrt genauso. Doch wenn das Spiel gegen England am Montag verloren geht und die Abreise ansteht, wäre er traurig. „Die Umstellung auf den Alltag wird sicher hart“, glaubt er. Genau deshalb will er jetzt auch schnell zum Treffpunkt des Fanclub-Dachverbandes  „Tolfan“ der seine Fanbotschaft nicht weit von hier aufgebaut hat. „Tolfan“ ist das isländische Wort für „12“, das Wort steht stellvertretend für den „Zwölften Mann“.

Autor*in
Christoph Ruf

44, ist freier Journalist und Buchautor aus Karlsruhe, schreibt für Spiegel Online und diverse Zeitungen (SZ, taz, FR, etc.) über Rechtsextremismus und Fankultur. Zuletzt erschien von ihm „Kurvenrebellen – die Ultras. Einblicke in eine widersprüchliche Szene.“ (Werkstatt-Verlag) und „Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu.“ (Beck`sche Reihe)

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