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Fußball! Ein anderes Wort für Überleben

von Martin Leibrock · 2. Juni 2010
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Welche Assoziationen das runde Leder hierzulande auslösen kann, ist bekannt. Was Fußball dagegen für das afrikanische Volk bedeutet, dürfte dem Nichtafrikaner kaum vertraut sein. Die damit verbundenen Schicksale Einzelner wie ganzer Völker, die freigesetzten Emotionen, aber auch die ökonomischen und entwicklungspolitischen Hintergründe schildert Grill ausführlich in seinem Buch "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert". Seine über die Jahre aufgebauten Beziehungen und gesammelten Erfahrungen als Afrika-Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" ermöglichen es ihm, ein sehr authentisches Bild zu zeichnen.

Ganze Bandbreite von Widersprüchen

In seinen zahlreichen Geschichten erfasst der Autor die ganze Bandbreite von Widersprüchen, die tief in der afrikanischen Gesellschaft verankert sind und sich auch im Fußball widerspiegeln. So brach Präsident Frederich Chiluba aus Sambia eine Auslandsreise ab und ordnete eine Woche Staatstrauer an, als er vom tragischen Flugzeugabsturz erfuhr, bei dem am 21. April 1993 die gesamte Fußballmannschaft starb. Und als die Mannschaft aus Kamerun bei den olympischen Spielen 2000 in Sydney im Endspiel Spanien bezwang und die Goldmedaille holte, beraumte Präsident Paul Biya drei Staatsfeiertage an. Doch da sind auch die negativen Seiten des Sports: Grill berichtet von "Schurkenstaaten", die den Massensport Nummer Eins missbrauchen, um das Volk zu betäuben. Präsidenten und Minister sonnen sich im Abglanz berühmter Fußball-Stars, die wie Halbgötter von der Bevölkerung verehrt werden.

Fußball als Opium

Darüber hinaus erzählt der Autor die Geschichte von "Muti". Es handelt sich dabei keineswegs um eine afrikanische Koseform für "Mutter", sondern um eeinen Aberglauben. Den bekam Ahmad Tejan Kablbah, der Staatspräsident von Sierra Leone, zu spüren. Er wurde der zur persona non grata erklärt, weil seine Anwesenheit bei Spielen der Nationalmannschaft Pech zu bringen schien. "Hätte er im April 2001, als Sudan zur Halbzeit 2:0 vorne lag, nicht das Stadion in Freetown verlassen, hätte es einen Volksaufstand gegeben", erzählt der Autor.

Den Stellenwert des Fußballs in Afrika - insbesondre Südafrika - zu verstehen, hilft ein Blick in die Historie. Während Golf, Kricket und Rugby den Weißen vorbehalten waren, galt Fußball lange Zeit als "outdoor acitivity" der "wilden Eingeborenen". Er schweißte die Afrikaner zusammen. Er war das "nationale Amalgam", das "Opium", um die täglichen Lasten zu tragen, so Grill: "Fußball war ein anderes Wort für Überleben", bringt der Autor es auf den Punkt.

Die Wartezeit verkürzen

All das zeigt, in welchem Dilemma die Afrikaner in Sachen Fußball stecken: Sie sind fußballverrückt und leidenschaftlich. Sie sehen Fußball als Fluchtmöglichkeit aus einer hoffnungslosen Situation und damit als Perspektive. Zugleich vereiteln vereinzelte Herrscher diese einmalige Chance. An den Schalthebeln sitzend lenken sie die Geschicke zu ihren eigenen Vorteilen, statt zum Wohl des Sports und den daraus resultierenden Entwicklungsperspektiven.

Grills Buch ist ernst und amüsant zugleich geschrieben. Es ist ein Lehrbuch, ohne den expliziten Anspruch lehren zu wollen. Es enthält aber auch kritische Worte an die Adresse der FIFA, die dafür Sorge zu tragen habe, dass "der ersten WM in Afrika das Afrikanische nicht ausgetrieben wird". Eine lesenswerte Lektüre, die die Wartezeit bis zum WM-Start ausfüllen kann.

Bartholomäus Grill: "Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert", Hoffmann und Campe Verlag, 2009, 260 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-455-50121-6

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