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Friedenshoffnungen in der Türkei

von Michael Meier · 27. März 2013

Im Konflikt zwischen Türken und Kurden hat PKK-Chef Abdullah Öcalan einen Waffenstillstand ausgerufen. Auch der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan geht auf die Kurden zu. Der Leiter des türkischen Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung Michael Meier sieht die Verhandlungen auf einem guten Weg.

Seit der Gründung der Türkei wird im Südosten die klassische Konfliktgeschichte von Armut, sozialen Problemen, kultureller Unterdrückung und zentralstaatlicher Gängelung in ihrer türkischen Version erzählt. Die Arbeiterpartei Kurdistans PKK rief 1984 zum bewaffneten Kampf auf, in dem bisher fast 50.000 Menschen sterben mussten. 

Die Kurdenfrage ist die wichtigste innenpolitische Herausforderung der Türkei und gewinnt zunehmend an außenpolitischer Bedeutung. Dabei wären die Forderungen der Kurden durchaus erfüllbar: muttersprachlicher Unterricht in den Schulen, autonome Selbstverwaltung sowie Neufassung der Staatsbürgerdefinition in der Verfassung. Hinter der Ablehnung der Forderungen stand aber schon immer die Angst vor der Abspaltung, der Gründung eines kurdischen Staates, der auch Nordirak, Nordsyrien und Teile des Irans umfassen könnte.

Nach vielen Lösungsversuchen der Vergangenheit scheint die aktuelle Friedensinitiative mit Abstand die Erfolg versprechendste zu sein, obwohl beide Seiten in die Verhandlungen eher hineinstolperten. Ein Hungerstreik von mehr als 1000 kurdischen Häftlingen im Oktober forderte unter anderem bessere Haftbedingungen für den isolierten Kurdenführer Öcalan und konnte erst durch dessen Machtwort beendet werden, was viele Menschenleben und die Regierung vor einer Blamage rettete.

Der Zeitpunkt für Verhandlungen ist günstig

Damit wurde der Weg für neue Verhandlungen zwischen der Regierung und Öcalan geöffnet, seine Isolation beendet. Mittlerweile haben ihn bereits drei politische Delegationen der Kurdenpartei BDP besucht. Zum Newroz-Fest am 21. März wurde in Diyarbakir vor Hunderttausenden Menschen ein Friedensaufruf Öcalans verlesen, der ein neues Kapitel der öffentlichen Friedensdebatte aufschlug. Die Bevölkerung, der Ministerpräsident und sogar die Mehrheit der Opposition begleiteten den Prozess bisher sehr positiv, selbst die Morde an drei Kurdinnen in Paris wurden nicht populistisch ausgeschlachtet.

Denn die derzeitige politische Großwetterlage scheint günstig für die Verhandlungen zu sein:

AKP und Erdogan wollen in der neuen Verfassung einen starken Präsidenten verankern, was aufgrund der Ablehnung der anderen Oppositionsparteien nur mit der BDP im Austausch für deren Forderungen gelingen kann. 

Öcalan möchte als Held in die Geschichte eingehen und den Frieden zu Lebzeiten erreichen, erhofft sich vielleicht heimlich auch eine Form von Hausarrest oder gar eine Freilassung.

Die türkische Gesellschaft ist trotz aller nationalistischer Slogans auf Seiten der Türken und Kurden das Blutvergießen leid, will endlich Frieden und wirtschaftliche Entwicklung.

Es wird ein schwieriger Weg

Eine starke kurdische Selbstverwaltung im Nordirak (mit der die Türkei kräftig Handel treibt), eine nahezu unabhängige Kurdenbewegung in Nordsyrien sowie der schwelende Konflikt mit dem Iran sind starke außenpolitische Faktoren, die eine Lösung dringend erfordern. Die USA und Europa begrüßen die Verhandlungen sowohl aus regionalen Sicherheitserwägungen als auch im Hinblick auf den EU-Beitrittsprozess sehr.

Allerdings ist der Aufgabenkatalog lang und es gibt noch viele schwierige Themen auf dem Weg zum Frieden: So sollten die unter Terrorverdacht inhaftierten kurdischen Politiker, Menschenrechtler, Gewerkschafter und Journalisten freigelassen werden. Die PKK hat bereits einen Waffenstillstand erklärt und soll sich geordnet zurückziehen. Dabei muss geklärt werden, welche Kämpfer amnestiert und in der Türkei bleiben können und welche in den Nordirak gehen. 

Die neue Verfassung sollte klare Aussagen zu den kulturellen Rechten der Kurden treffen – vor allem im Umgang mit einer Schul- und Amtssprache Kurdisch – sowie den Umfang der kommunalen Selbstverwaltung regeln. Erst dann kann auch über eine Präsidialdemokratie nachgedacht werden. Schließlich soll eine Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit etabliert werden. Ein “Rat der Weisen” soll auf Vorschlag der sozialdemokratischen CHP den gesamten Friedensprozess begleiten – denn es wird noch ein schwieriger Weg, der allen Seiten viel abverlangen wird.

Autor*in
Michael Meier

ist seit 2014 Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D. C.

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