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Frans Timmermans zur Zukunft der EU: „Die SPD hat eine entscheidende Rolle“

Frans Timmermans, designierter Vizepräsident der EU-Kommission, im Interview über den verspäteten Start der neuen EU-Kommission, die Rolle Deutschlands und der SPD in Europa und seine Pläne für einen „Green New Deal“
von Karin Nink · 21. November 2019
Europa muss zeigen, dass es auf den Klimawandel eine Antwort hat. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans will, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird.
Europa muss zeigen, dass es auf den Klimawandel eine Antwort hat. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans will, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird.

Wenn Sie auf die Europawahl im Mai zurückblicken: Was bewegt Sie da und ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Wir haben viel positive Energie bei diesem Wahlkampf mobilisiert und das in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten. Es ist natürlich nicht überall ein Erfolg dabei herausgekommen, aber in etlichen Ländern haben wir als Sozialdemokraten deutlicher besser abgeschnitten, als viele geglaubt haben. Jetzt haben wir mehr als 150 Mandate im Europäischen Parlament und sind klar die zweite politische Kraft. Daraus können wir in den nächsten fünf Jahren politisch wirklich was machen.

Die Lage in der neuen EU-Kommission ist ziemlich kompliziert. Ursula von der Leyen ist kein pünktlicher Start gelungen. Was bedeutet der verspätete Start der Kommission?

Wir haben schon gesehen, wie schwierig es für den Europäischen Rat war, eine neue Präsidentin der Europäischen Kommission zu finden. Dass man sich dabei vom Spitzenkandidatenprinzip verabschiedet hat, war natürlich ein schwerer Schlag für das  Europäische Parlament. Und es ist auch nicht verwunderlich, dass es dann etwas Zeit braucht, um über diese Enttäuschung hinwegzukommen. Jetzt müssen wir aber daran gehen, unsere Zukunft vorzubereiten und dafür die politischen Weichen richtig stellen.

Klar ist auch: Die Lage im Europäischen Parlament hat sich geändert. So wie in den meisten Mitgliedsstaaten kann es keine große Koalition aus nur zwei Parteien mehr geben. Wir brauchen jetzt im Europäischen Parlament viel mehr Arbeit, um eine Mehrheit zu bekommen. Das haben wir schon jetzt bei der Einsetzung der Kommission gespürt. Und auch das hat zu einer gewissen Verzögerung geführt.

Ich finde es aus demokratischer Sicht aber überhaupt nicht schlecht, dass das Europäische Parlament jetzt noch mehr ein Ort ist, wo man wirklich hart arbeiten muss, um eine Mehrheit zu bekommen. Das kann und sollte Ansporn sein, inhaltlich noch besser zu werden. Als neue Kommission müssen wir uns dieser Aufgabe stellen.

Im Juli 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Was erwarten Sie von Deutschland? Welche Rolle kann die SPD dabei spielen?

Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Etappe sein wird, um Europa in schwieriger Zeit voranzubringen. Und natürlich ist für uns europäische Sozialdemokraten dabei die Rolle der SPD ganz entscheidend. Schon in den vergangenen Monaten hat die SPD mit Olaf Scholz als Vizekanzler und Finanzminister eine wirklich wichtige Rolle gespielt: Er hat gezeigt, dass es tatsächlich so etwas wie ein europäisches Deutschland gibt, indem er europäische Solidarität in die Tat umgesetzt hat – bei der Bankenunion zum Beispiel. Aber auch seine Ideen über eine europäische Arbeitslosenrückversicherung haben neue Impulse gegeben. Das ist eine Basis, auf der man in der deutschen Ratspräsidentschaft aufbauen kann.

Sie werden nun als Vizepräsident der EU-Kommission zuständig für Klimaschutz und verantwortlich für einen Green-New-Deal sein. Mit diesem Deal soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Wie kann das gelingen?

In manchen Mitgliedsstaaten gibt es schon gute Ansätze, indem sie versuchen, den Klimaschutz in konkrete Maßnahmen zu gießen. Das hat die deutsche  Bundesregierung auch gemacht; ebenso wir in den Niederlanden. Und das tun jetzt auch immer mehr Länder. Diese Anstrengungen müssen wir durch europäische Impulse zusätzlich verstärken und auch seitens der EU noch ambitionierter im Klimaschutz werden.

Wir können das schaffen, aber nur, wenn ganz Europa in derselben Richtung vorangeht und auch wenn wir die Größe Europas nutzen, um andere in dieser Welt zu überzeugen, dass sie denselben Weg beschreiten. Auch wenn wir sehr gut sind und auch wenn wir die Klimaziele für 2050 schaffen, wir sind nur für neun Prozent der Emissionen in der Welt verantwortlich. Nur, wenn es uns gelingt, über unsere Politik und ihre Erfolge auch die anderen zu überzeugen, können wir weltweit Erfolg haben.

Für mich ist klar: Wir sind als Europäer in der Lage, etwa über den Emissionshandel und über andere Maßnahmen, dafür zu sorgen, dass wir 2050 klimaneutral sind. Wir sollten es uns aber auch zum Ziel machen, dass wir umweltneutral sind. Das ist eine ebenfalls große Aufgabe. Man sieht in vielen Städten, wie schlecht zum Beispiel die Luftqualität ist. Man sieht eine schnell verschwindende Biodiversität in der Welt. Europa muss zeigen, dass wir auch darauf eine Antwort haben.

Jetzt sind aber nicht alle europäischen Staaten so davon überzeugt. Wie wollen Sie es schaffen, dass alle EU-Mitglieder mitziehen? Es gibt ja auch Skepsis gegenüber den Plänen – in Ungarn, Polen und Tschechien zum Beispiel.

Natürlich stehen diese Länder vor großen Aufgaben und damit verbunden auch schwierigen Veränderungen. Sie müssten wirklich ihre Energieversorgung und ihren industriellen Aufbau grundlegend ändern. Auch wenn sie das nicht immer sagen, denke ich aber schon, dass sie wissen, dass das, was sie jetzt machen, überhaupt nicht nachhaltig ist. Sie wissen auch, dass Veränderungen kommen werden – früher oder später.

Ich habe gerade von Luftqualität geredet. Die  Bürgerinnen und Bürger werden nicht auf Dauer schlechte Luftqualität akzeptieren. Die werden sich dagegen wehren. Und dieser Druck kann helfen etwas zu bewegen. Aber auch europäische Impulse und Anreizen können helfen, etwa indem wir die Mittel aus den  europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds für einen nachhaltigen Umbau der Energieversorgung und Industrie nutzen. Gerade auch in den Ländern, die sich damit bisher schwer tun.

Wie schätzen Sie insgesamt die Lage in Europa ein, die seit der Wahl zum Europäischen Parlament ja auch nicht einfacher geworden ist?

Das stimmt. Ich glaube, uns fehlt es vor allem an konkreten Maßnahmen. Wir brauchen jetzt eine Kommission und ein Parlament, die mit der Arbeit loslegen. Wir müssen aufhören, über Personen und Positionen zu reden. Wir müssen über Politik reden, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass wir nicht mit uns selber beschäftigt sind, sondern mit den Problemen ihres Alltags und mit den Herausforderungen unserer gemeinsamen Zukunft als Europäer.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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