Frankreich: So gefährlich wird Emmanuel Macron den Sozialisten
Die Franzosen haben kaum noch Vertrauen in ihr politisches System und dessen Parteien. Was besonders für Sozialisten und Konservative ein Riesenproblem ist, könnte für einen zur großen Chance werden: für Frankreichs parteilosen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron.
Emmanuel Macron ist mit der Linken unzufrieden
„Man hört von den Franzosen immer dasselbe: es muss sich etwas bewegen.“ Mit diesen Worten fängt der Videoclip von „En marche!“ an, der im April gegründeten Gruppierung von Frankreichs Wirtschaftsminister. Zu sehen sind in anderthalb Minuten vor allem junge Leute, die das tun, was der 38-Jährige dem ganzen verkrusteten Frankreich verordnen möchte: Bewegung. Wer da mit ihm marschiert, scheint dem einstigen Investmentbanker nicht so wichtig zu sein. „Ich will gemeinsam mit allen guten Willens handeln, die an den Fortschritt dieses Landes glauben“, sagt er in einem Interview mit dem Fernsehsender Arte. Nicht ohne vorher zu versichern, dass ihn die heutige Linke nicht zufrieden stelle.
„Weder rechts noch links“ will der Absolvent mehrerer Eliteuniversitäten seine Bewegung deshalb sehen. Eine Einordnung, die ihm viel Kritik einbringt - von Sozialisten und Konservativen. „Es wäre absurd, die Unterschiede auslöschen zu wollen“, giftet der sozialistische Regierungschef Manuel Valls gegen den Kollegen, den er als Bedrohung für seine eigenen Ambitionen auf das Präsidentenamt empfindet. Verkörpert der Umfrageliebling Macron, der im Gegensatz zu den anderen Ministern der sozialistischen Regierung kein Parteibuch hat, doch einen Neuanfang jenseits der ideologischen Grenzen. Dass er sich mit seiner Initiative immer weiter von Präsident François Hollande entfernt, der ihn 2012 zunächst als Wirtschaftsberater holte, scheint Macron dabei nicht zu stören. Er sei kein „Zwangsverpflichteter“ des Staatschefs, sagte der Minister in seiner unverblümten Art.
38 Prozent der Franzosen: Macron wäre guter Präsident
„Seine offenen Worte, sein gesetzgeberischer Ideenreichtum und sein pragmatischer Reformgeist lassen nicht nur die herkömmlichen Parteiprogramme alt aussehen, sondern auch das System Hollande“, kommentiert das Nachrichtenmagazin „Express“ schwärmerisch. „Frankreich braucht einen Neuerfinder.“ Und als solcher versteht sich Macron, dem 38 Prozent der Franzosen bescheinigen, einen guten Präsidenten abgeben zu können, obwohl er noch nie in ein politisches Amt gewählt wurde.
Macron könnte es auch als einziger Politiker des linken Lagers 2017 in die Stichwahl schaffen, während Hollande allen Umfragen zufolge nicht über die erste Runde hinauskäme. „Es gibt unbestritten ein Macron-Phänomen, das heute zum Großteil als Ablehnung des herrschenden politischen Angebots funktioniert“, interpretiert der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Viavoice, François Miquet-Marty, in der Zeitung „Le Parisien“ die Zahlen.
Sozialisten kritisiern „Hype“ um Macron
„Macron steht für eine positive Haltung“, sagt der Jurist Sacha, der zusammen mit anderen jungen Franzosen die Unterstützungsplattform „Junge für Macron“ gründete. 3500 Mitglieder hat die Gruppierung bereits, zu En Marche! bekennen sich rund 50.000 Franzosen. „Sie sind das Gegenteil der jungen Sozialisten, die der Doktrin der Partei verhaftet sind“, räumt der sozialistische Abgeordnete Pascal Terrasse in der Zeitschrift „Society“ ein. „Sie sind das 21. Jahrhundert.“
Dass er als Wirtschaftsberater und später als Minister eine Mitverantwortung für die Rekordarbeitslosigkeit trägt, räumt Macron offen ein. „Wir haben nicht genug für die Beschäftigung getan“, sagte er im Januar der Zeitung „Le Monde“. „Macron ist vor allem ein Hype“, kritisiert Finanzminister Michel Sapin, ein alter Studienfreund Hollandes, seinen Nachbarn im modernen Ministeriumskomplex Bercy. Auch andere Minister halten sich nicht mit Seitenhieben gegen den eigenwilligen Kabinettskollegen zurück, der nicht im Team spiele.
Macron versucht Obama-Strategie
Macron, dem seine Bewegung als Basis für eine Präsidentschaftskandidatur dienen könnte, lässt sich davon nicht beeindrucken. Seit dieser Woche gehen tausende seiner Anhänger von Haustür zu Haustür, um mit den Franzosen zu sprechen und daraus möglicherweise ein Wahlkampfprogramm zu formen. Eine Strategie, die 2012 ein anderer Politiker erfolgreich verfolgte: Barack Obama.
Christine Longin begann ihre journalistische Laufbahn bei der Nachrichtenagentur AFP, wo sie neun Jahre lang die Auslandsredaktion leitete. Seit vier Jahren ist sie Korrespondentin in Frankreich, zuerst für AFP und seit Juli für mehrere Zeitungen, darunter die Rheinische Post.