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Frank Schwabe: „Julian Assange muss sofort freikommen“

Sollte Julian Assange von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden, drohe ihm kein faires Verfahren. Deswegen fordert Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, seine Freilassung.
von Claudia Detsch · 2. März 2020
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In der vergangenen Woche begann das Verfahren zur Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange von Großbritannien an die USA. Was droht Assange bei einer Auslieferung?

Es drohen ihm nach 18 verschiedenen Anklagepunkten zusammengerechnet bis zu 175 Jahre Haft. Allein das macht schon deutlich, dass hier ein Exempel statuiert werden soll.

Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, vertritt die Ansicht, Julian Assange werde gezielt psychologisch gefoltert. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt? 

Es geht Assange offensichtlich psychisch und auch körperlich sehr schlecht. Ursache ist auch der lange Aufenthalt in der ecuadorianischen Botschaft in London. Aber auch jetzt gibt es für ihn verschärfte Haftbedingungen in einem Hochsicherheitsgefängnis. Dafür gibt es überhaupt keine Begründung. Er muss ganz im Gegenteil umfassende ärztliche Hilfe bekommen.

Die SPD-Fraktion will Nils Melzer in den Bundestag einladen. Was erhoffen Sie sich davon? 

Das wollen wir möglichst fraktionsübergreifend tun. Wir wollen natürlich Öffentlichkeit schaffen; den Fall Assange, aber auch das Thema Whistleblower generell besprechen. Aber ganz unabhängig von der Bewertung der Rolle Assanges: Folter darf es nirgendwo geben. Melzer hat aufgerüttelt. Wir wollen ihm die Gelegenheit geben, dem Bundestag aus erster Hand zu berichten. Gut, dass es die Position des UN Sonderberichterstatters für Folter gibt. 

Erstmals wird im Fall Assange der Anti-Spionage-Paragraf in den USA gegen einen Journalisten eingesetzt. Wird hier gezielt ein Präzedenzfall geschaffen? 

Natürlich. Hier soll ein Gesetz von 1917 angewandt werden. Das wirkt alles sehr bemüht, einen Präzedenzfall zur Abschreckung anderer zu konstruieren. Das Gegenteil müsste aber der Fall sein. Menschen müssen ermuntert werden gegenüber Unternehmen, aber auch Behörden oder ganzen Staaten strafbares oder gar völkerrechtswidriges Verhalten zu offenbaren. Das ist das Gegenteil von Verrat. 

Ist der Fall Assange eine Bankrotterklärung für die Rechtsstaatlichkeit in den Vereinigten Staaten?

Er wirft zumindest viele Fragen auf. Es sieht alles danach aus, dass er nicht mit einem fairen Verfahren rechnen kann. Deshalb darf er auch nicht ausgeliefert werden. Sondern er muss freikommen und seinen Lebensort frei wählen können.

Was steht für die europäischen Demokratien beim Fall Assange auf dem Spiel? 

Der Rechtsstaat hat eine lange europäische Tradition. Und wir sind zurecht stolz auf die Standards. Jedem Eindruck, dass das in besonderen Fällen außer Kraft gesetzt werden könnte, müssen wir energisch entgegenwirken. Ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit im Fall Assange hätte weite negative Wirkungen über den konkreten Fall hinaus. Großbritannien hat sich nicht nur im Rahmen der EU, sondern auch des Europarats zu rechtsstaatlichem Handeln verpflichtet. In jedem Fall.

Journalist*innen und Whistleblower*innen geraten nicht nur in autoritär regierten Staaten, sondern auch im Westen zunehmend unter Druck. Was muss getan werden, um sie vor politischer Verfolgung zu schützen?

Wir brauchen ein umfassendes Verständnis davon, dass Whistleblowing gut und notwendig ist. Menschen, die schlimmste Vergehen aufdecken, sind keine Nestbeschmutzer, sondern sie leisten einen Dienst für die Demokratie und die Menschenrechte. Whistleblower müssen durch internationale Konventionen und Abkommen und durch nationale Gesetze geschützt werden.

Dieser Artikel erschien zunächst im ipg-Journal.

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Autor*in
Claudia Detsch

leitet die Redaktion des IPG-Journals. Sie ist Soziologin und war Herausgeberin der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Nueva Sociedad mit Sitz in Buenos Aires. Von 2008 bis 2012 leitete sie das Büro der FES in Ecuador.

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