International

Flüchtlingspolitik in Ungarn: EU-Parlament straft Viktor Orbán ab

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán regiert sein Land autoritär – nicht nur in Sachen Flüchtlingspolitik. Das geht selbst konservativen Parteifreunden zu weit. Deshalb greifen sie erstmals zu einem drastischen Mittel.
von Paul Starzmann · 17. Mai 2017

Es ist eine Ohrfeige für den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán: Das Europäische Parlament hat am Mittwoch in Straßburg einen Beschluss gefasst, der die Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn fordert. Selbst einige Konservative haben gegen ihren Parteifreund Orbán gestimmt. Nun soll offiziell untersucht werden, ob die Regierung in Budapest demokratische Standards einhält und die Menschenrechte achtet. Der Vorgang gilt als die „nukleare Option“ im EU-Recht, als die stärkste Waffe im Kampf um die Einhaltung der europäischen Werte. Am Ende könnten harte Konsequenzen auf Ungarn zukommen – bis hin zum zeitweiligen Verlust des Stimmrechtes auf EU-Ebene.

Sozialdemokraten blamieren Viktor Orbán

Für Viktor Orbán ist die Entscheidung der Europaabgeordneten eine Blamage – noch nie zuvor hat das Straßburger Parlament die Rechtsstaatlichkeit eines EU-Mitgliedes infrage gestellt. Mit dem zunehmenden Abbau der Demokratie in seinem Land und dem harten Vorgehen gegen Flüchtlinge hat der ungarische Regierungschef den Bogen nun allerdings wohl überspannt.

„Seit dem Amtsantritt Orbáns vor sieben Jahren erleben wir, wie die ungarische Bevölkerung Schritt für Schritt ihres hart erkämpften Anspruches auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beraubt wird“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel im Vorfeld der Abstimmung. Sie hatte zusammen mit Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion den Antrag eingebracht. Unterstützung kam von Grünen, Linken und Liberalen.

Demokratieabbau mit Rückendeckung der CDU

Für die Orbán-Kritiker im EU-Parlament gibt es viele Bereiche der ungarischen Politik, die Anlass zur Sorge bereiten: Die Rechte von Asylbewerbern würden genauso missachtet wie die Meinungsfreiheit, heißt es in der Resolution. Es gebe Probleme bei der Verwendung öffentlicher Gelder sowie bei den Rechten von Minderheiten wie Roma, Juden oder Homosexuellen. Auch im Bildungsbereich, bei Frauenrechten und im Justizwesen gebe es Mängel. Die Liste liest sich wie ein Bericht über das Leben in einer Diktatur. Die SPD-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann sagte: „Die ungarische Regierung stellt sich immer weiter ins europäische Abseits ­– mit Rückendeckung von CDU/CSU.“

In der Tat hatte der Fraktionsvorsitze der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Abgeordnete Michael Weber, bis zur letzten Minute versucht, den Orbán-kritischen Antrag der Sozialdemokraten zu verhindern. Der Grund: Auch die nationalkonservative „Fidesz“-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten ist Teil der EVP-Fraktion – Orbáns Vertraute sitzen dort in einer Reihe mit CDU und CSU.

CSU versucht, Orbán zu schützen

„Die EVP und deren Anführer Michael Weber haben alles getan, was sie konnten, um die heutige Abstimmung zu untergraben und Orbán zu schützen“, sagte Gianni Pittella, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten in Straßburg. Weber hatte zuvor einen eigenen Antrag ins Parlament eingebracht. Darin sind zwar einige Passagen enthalten, die sich als kritisch gegenüber der ungarischen Regierung verstehen lassen. Orbáns Vergehen in Sachen Menschenrechte sparte der CSU-Politiker jedoch weitgehend aus. Allerdings waren Webers Bemühungen erfolglos, sein Antrag blieb ohne Mehrheit: Selbst einige Abgeordneten der konservativen EVP-Fraktion stimmten stattdessen dem Antrag der Sozialdemokraten zu – und sicherten so die Mehrheit gegen Orbáns rechtsnationale Regierung.

Die Entscheidung des EU-Parlaments ist auch eine Schlappe für die deutschen Orbán-Fans bei AfD und Co. Auch Teile der Union dürfte der Beschluss nicht erfreuen. So ist vor allem CSU-Chef Horst Seehofer als großer Orbán-Freund bekannt. Kein Wunder: Was sich der bayerische Ministerpräsident in der deutschen Asylpolitik wünscht, ist in Ungarn längst Realität. In dem Land gelte „eine Obergrenze von zehn Personen pro Tag“, heißt es in der Resolution aus Straßburg. Über 90 Prozent der Asylanträge, die 2016 in Ungarn gestellt wurden, seien abgelehnt worden.

EU-Kommission stellt sich gegen Orbán

Den Umgang mit Geflüchteten kritisiert nicht nur das Europäische Parlament mit seiner Entscheidung vom Mittwoch. Bereits am Dienstag hat die EU-Kommission wegen der Asylpolitik ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn angedroht – die Luft scheint dünner zu werden für Viktor Orbán und seine rechtsnationale Regierung.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare