Flüchtlingslager Moria brennt: Was die SPD jetzt fordert
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Medienberichten zufolge sind in der Nacht im griechischen Aufnahmelager Moria mehrere Feuer ausgebrochen. Die Ursache ist derzeit noch unklar, in den Morgenstunden wird aber das Ausmaß der Zerstörung sichtbar: Das Camp, in dem zuletzt zehntausende Menschen unter widrigen Bedingungen lebten, ist offenbar in großen Teilen verwüstet. Starke Winde sollen die Feuer angefacht haben. Das Flüchtlingscamp wurde inzwischen komplett geräumt.
Das Camp auf der griechischen Insel Lesbos ist das größte auf europäischem Boden. Viele SPD-Poltiiker*innen fordern nun akute Hilfe, verweisen aber auch darauf: Es gibt in Deutschland bereits viele Initiativen, Kommunen, Bundesländer, die Geflüchtete aufnehmen wollen. Und das schon seit langer Zeit.
Saskia Esken: „Schande für Europa“
Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken sprach von einer „Schande für Europa“ und forderte umgehende Hilfe vor Ort. Dafür müsse auch die Bundesregierung umgehend den Weg frei machen, um Geflüchtete aufnehmen zu können.
Während Esken unter anderem die Initiative Seebrücke nannte, forderte sie auch vom Innenminister Seehofer eine Dringlichkeitssitzung der EU-Innenminister und „einen gerechten Verteilmechanismus ermöglichen, der die Willigen bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht weiter ausbremst und die Unwilligen auf anderem Weg in die Pflicht nimmt.“ Der Vize-Parteivorsitzende Kevin Kühnert forderte eine umgehende Evakuierung von Moria. „Wer jetzt noch blockiert, handelt mit Vorsatz“, ergänzte er bei Twitter mit Verweis auf die brennenden Einrichtungen auf Lesbos.
Kritisiert wird die Situation auf der griechischen Insel schon seit vielen Monaten, vor allem weil das Camp völlig überfüllt ist, die griechischen Behörden mit der Verwaltung und der Unterbringung offenbar überfordert sind. Eine Situation, auf die auch der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, am Mittwochmorgen erneut hinweist: „Moria steht seit Monaten in Flammen. In den Flammen des Elends, der Verzweiflung, der Selbstaufgabe Europas. Ich bete, dass niemand weiter zu Schaden kommt. Seehofer muss nun umgehend den Weg frei machen, dass aufnahmebereite Bundesländer sofort gemeinsam helfen können“, sagt er bei Twitter.
Auf Initiative der SPD wurde in der Vergangenheit durchgesetzt, dass besonders hilfsbedürftige Geflüchtete – allen voran Kinder und Erkrankte – in Richtung Deutschland ausgeflogen werden durften. Die Aufnahme ging seither aber nur schleppend voran. Seit Beginn der Evaquierung wurden rund 700 Geflüchtete evaquiert, rund 500 davon gelangten nach Deutschland, andere wurden von anderen EU-Staaten aufgenommen, die zur Aufnahme bereit waren. „Die Zustände in Moria waren schon bisher untragbar, nun sind sie desaströs. Für die Menschen dort geht es um das nackte Überleben“, sagte Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, der in einer ersten Reaktion ebenfalls auf die Aufnahmeprogramme von Länder und Kommunen verwies. „Es ist natürlich richtig, dass wir jetzt auch eine rasche gemeinsame humanitäre Hilfsaktion Europas brauchen. Aber hinter dieser Forderung sollten wir uns nicht verstecken.“
Seehofer blockiert Aufnahmeprogramme
Auch die SPD-geführten Bundesländer hatten in den vergangenen Monaten vergeblich den Bundesinnenminister Horst Seehofer gedrängt, Geflüchtete aufnehmen zu dürfen. Der hatte aber die Landesaufnahmeprogramme aus Thüringen und Berlin zuletzt blockiert. Da die Aufnahme von Geflüchteten zunächst in den Verantwortungsbereich des Bundes fällt, weil die Geflüchteten die Außengrenzen der Bundesrepublik überqueren müssen, muss das Innenministerium den Programmen der Länder zusagen. Diese Zusage hatte Seehofer versagt, Medienberichten zufolge mit dem Verweis darauf, dass man auf eine europäische Lösung in der Migrationspolitik hoffe.
Doch auch auf europäischer Ebene sind die Fronten schon seit Jahren verhärtet: Während Staaten wie Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg, Finnland und Belgien zuletzt immer wieder Geflüchtete aufgenommen hatten, weigern sich andere Staaten vehement, sich an der Verteilung der Geflüchteten zu beteiligen. Für ein gemeinsames Verteilsystem ist aber die Zustimmung aller EU-Staaten nötig. Ein Konsens, der schon seit Jahren in weiter ferne liegt, wie die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel schon im Gespräch mit dem „vorwärts“ im März erklärte: Es fehle an politischer Führung von Seiten der EU-Kommission und gleichzeitig würden bestimmte Länder einer europäischen Solidarität verweigern, allen voran Ungarn und Polen. Sie sieht eine Lösung in einer „Koalition der Willigen", die mit gutem Beispiel innerhalb Europas vorangehen und Geflüchtete aufnehmen könnten, während Länder, die sich verweigern, weniger EU-Fördermittel erhalten.
An eine solche Koalition appellierte nun auch SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas mit Blick auf das zerstörte Aufnahmelager in Griechenland:
Erst zu Beginn der Woche wurde mit einer Aktion von „Seawatch" und anderen Initiativen vor dem Reichstag für Aufsehen gesorgt: Mit 13.000 Stühlen vor dem Gebäude wurde darauf aufmerksam gemacht, wie viele Menschen in dem Flüchtlingscamp derzeit ausharren. Die Initiativen fordern seit langem eine Evaquierung des Camps, in dem auch die Infektionen mit dem neuen Coronavirus steigen und von der griechischen Regierung deswegen ein harter Lockdown verhängt wurde. Auch Politiker*innen beteiligten sich an der Aktion, forderten eine sofortige Aufnahme der Geflüchteten – darunter auch Esken und ander Sozialdemokrat*innen.
Reaktion aus Europa: Versagen der Regierungen
„Wir wissen sehr genau, wer da versagt: Die Staats- und Regierungschefs sind nicht fähig, sich für Menschlichkeit zu entscheiden“, kritisierte Jens Geier, Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im Europaparlament scharf die Flüchtlingsdebatte auf der europäischen Ebene. Ebenso wie die SPD-Politiker*innen in Deutschland forderte er jetzt schnelle Unterstützung für die Geflüchteten und auch die griechischen Behörden – und forderte vor allem von den EU-Innenministern eine schnelle Verständigung und koordiniertes Handeln. „Die Menschen müssen als erster Schritt ans Festland gebracht und dort sicher untergebracht werden“, schlug er am Mittwoch vor. In einem ersten schnellen Schritt könnten bereits anerkannte Flüchtlinge in anderen EU-Mitgliedstaaten aufgenommen werden, ergänzte er in einer Pressemitteilung – mit Verweis auf Städte in Deutschland, die bereit seien, Menschen aufzunehmen. „Die Unionsfraktion muss mit Attacken gegen aufnahmewillige Kommunen aufhören, die EU-Innenminister um Horst Seehofer mit den Blockaden", so der Sozialdemokrat.
Auch Birgit Sippel spricht im selben Atemzug von einem „katastrophalen Versagen“ der EU-Mitgliedsstaaten. Sie sieht die Katastrophe jetzt in einer Linie mit der schlechten Unterbringung der Geflüchteten in den vergangenen Monaten. Die Ausgangssperren und Einschränkungen der vergangenen Monaten hätten Moria in ein Inhaftierungslager verwandelt, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die Evakuierung des Lagers war überfällig“, sagt Sippel – und ergänzt: „Der neue Migrationspakt, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits für Anfang 2020 zugesagt hat, steht noch immer aus.“