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Flüchtlinge: Warum die EU eine verlässliche Türkei braucht

In der kommenden Woche treffen sich die Staatschefs der EU und der Türkei erneut, um eine Lösung der Flüchtlingsfrage zu finden. Nur eine demokratische Türkei kann ein verlässlicher Partner sein, meint unser Analyst Yasar Aydin. Dafür braucht es eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen.
von Yaşar Aydın · 9. März 2016
EU und Türkei
EU und Türkei

Entgegen offizieller Verlautbarungen konnte bei dem Gipfel der Europäischen Union (EU) mit der Türkei am vergangenen Montag kein Durchbruch in der Flüchtlingsfrage erzielt werden. Heraus kamen lediglich Absichtserklärungen, jedoch keine festen Abmachungen. Am Donnerstag wollen sich die 28 EU-Staaten und die Türkei nun auf ein umfassendes Paket einigen, das die Flucht und illegale Migration über die Türkei nach Europa eindämmen soll.

Das fordert die Türkei

Die EU-Staaten gehen optimistisch in das Treffen, weil die Türkei signalisiert hat, alle syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen. Im Gegenzug dazu soll die EU die Kosten dafür tragen und für jeden durch die Türkei zurückgenommenen Flüchtling einen der rund 2,7 Millionen Syrer abnehmen, die bereits in der Türkei Unterschlupf gefunden haben.

Das Gute an dieser „eins-zu-eins“ Regelung ist, dass sie Flüchtlingen den Anreiz nehmen kann, sich Schlepperbanden anzuvertrauen. Ankara verlangt zudem von der EU zusätzliche drei Millionen Euro für die Versorgung von Flüchtlingen, visafreies Reisen für türkische Staatsbürger im Schengen-Raum und beschleunigte Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Kritik an der türkischen Innenpolitik

Während die Bundesregierung und die EU-Spitzenpolitiker sich optimistisch zeigen, sind eine türkeikritische deutsche Öffentlichkeit und türkische Intellektuelle in Skepsis gegenüber der Brüsseler Politik vereint. Sie mokieren sich über den angeblichen Kniefall der europäischen Politik vor dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan oder den Ausverkauf europäischer Werte, um mit der Türkei einen Deal in der Flüchtlingsfrage zu machen.

Derartige Deutungen folgen aus einer berechtigten Kritik der gravierenden Rückschritte in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei, der Rechtsstaatlichkeit und am Umgang mit Minderheiten. Die AKP-Regierung kontrolliert heute einen wichtigen Teil der Medien, setzt sie als machtpolitisches Vehikel ein, um Oppositionelle einzuschüchtern und sieht in Pressefreiheit und kritischem Journalismus nur reine Störfaktoren.

Wirft die EU ihre Werte über den Bord?

All die Kritiker verschließen jedoch die Augen vor der unerfreulichen Erkenntnis, dass allein die Türkei dazu in der Lage ist, irreguläre Migration an ihren Küsten zu begrenzen. Als ein Transitland verschiedener Migrationsbewegungen wird die Türkei mittel- und langfristig nicht dazu bereit sein, größere Migrationsbewegungen zu kontrollieren, wenn EU ihr mit Finanzhilfen nicht beisteht.

Die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bedeutet keinesfalls, dass die EU zur Lösung der Flüchtlingsfrage ihre Grundwerte über den Bord wirft. Dass die Türkei ebenfalls an einer Fortführung des Beitrittsprozesses interessiert ist, eröffnet für die EU die Möglichkeit, die aktuelle Machtverschiebung zugunsten der Türkei zu relativieren und so wieder Einfluss auf die Politik der Türkei zu gewinnen. Zudem zeigt die gegenwärtige Haltung der Türkei, dass Ankara auf ein gutes Verhältnis zur EU nicht verzichten kann.

Nur eine demokratische Türkei kann Teil der Lösung sein

Die sich ergebende Frage lautet nicht ob, sondern wie die Gespräche mit der Türkei zu führen sind. Vonnöten ist hierfür zuallererst eine Entflechtung der Flüchtlingsfrage von Demokratie- und Menschenrechtsdefiziten in der Türkei. Es ist im Interesse des inneren Friedens, der Sicherheit und des Zusammenhalts der EU, die Zuwanderung zu steuern und die Flüchtlingsfrage politisch zu gestalten. Dafür braucht die EU die Kooperation Ankaras.

Doch nur eine demokratische Türkei kann tatsächlich ein zuverlässiger Partner bei der Lösung der Flüchtlingsfrage werden. Daher ist es wichtig, neben Gesprächen zur Lösung der Flüchtlingsfrage auch die Beitrittsverhandlungen fortzusetzen, gleichzeitig jedoch ein klares Signal an die türkische Staatsführung zu senden, die Türkei wieder auf den Weg der Demokratie zurückzuführen. Brüssel und Berlin hätten dafür zwei wirksame Hebel in der Hand: Kooperation in der Flüchtlingsfrage und Beitrittsgespräche.

Autor*in
Yaşar Aydın

lehrt an der HafenCity Universität Hamburg.

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