Flüchtlinge in Europa: So will Martin Schulz ein System der Hoffnung schaffen
Stolz aber auch ein wenig neugierig begrüßen die Heranwachsenden den Mann aus Deutschland, der sie – begleitet von einem großen Pressetross und dem italienischen Innenminister Marco Minniti – in ihrer Unterkunft am Rande von Catania besucht. Das Flüchtlingsheim ist eine Station der Italienreise von SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz, während der er sich ein Bild über die Lage vor Ort machen will. Hier leben 25 junge Männer – alle alleinreisende Minderjährige. Sie kommen aus Gambia, der Elfenbeinküste, Somalia oder Mali und hoffen auf ein besseres Leben in Europa.
Zuwanderung von Flüchtlingen bleibt
Viele werden zurückkehren müssen, weil sie die Anforderungen für ein Asylbegehren nicht erfüllen. Doch bis sie volljährig sind, dürfen sie in Italien bleiben. In dem Flüchtlingsheim werden sie psychosozial betreut, lernen lesen und schreiben und machen eine Ausbildung, die ihnen einen Übergang in ein neues Leben ermöglicht, aber auch in ihrem Herkunftsland helfen kann, sich bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
Auch wenn in Deutschland die Flüchtlingszuwanderung zur Zeit sehr weit weg scheint, stranden an den Küsten Italiens täglich Menschen, ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer. Wie dramatisch diese Lage ist, veranschaulicht eine Dokumentation der italienischen Küstenwache, die Schulz vor dem Flüchtlingsheim besucht. Der kommandierende Admiral begrüßt Schulz als alten Bekannten. Er trifft den SPD-Chef nun zum dritten Mal. Schon als EU-Parlamentspräsident trieb Schulz das Thema Migration in die Europäische Union ebenso um wie die starke Belastung der Grenzstaaten Griechenland und Italien.
Italien bittet um Hilfe
2017 hat Italien bereits rund 93.000 Menschen aufgenommen. Bis maximal 120.000 Neuankömmlinge – so war aus den Gesprächen zu hören – könne das Land verkraften. Darüber hinaus werde es schwierig, und es sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Lage wieder zuspitzen könnte ähnlich wie vor zwei Jahren. Die Migration stellt das wirtschaftlich schwächelnde Land, in dem 2018 ein neues Parlament gewählt wird, vor große Herausforderungen. Und so bittet auch der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco, „Presidente Schulz“ darum, seinen „Einfluss bei den Führungskräften in Europa“ zu nutzen, um auf das dringende Problem der Flüchtlingszuwanderung in Italien hinzuweisen.
Schulz nimmt das Anliegen des Bürgermeisters ernst. Er ist der Meinung, dass Europa Grenzländer wie Italien nicht alleine lassen darf und fordert wie bereits bei seinem Besuch in Rom Solidarität innerhalb der Europäischen Union. „Wir dürfen die Mittelmeerländer nicht alleine lassen. Hier geht es um eine gemeinschaftliche europäische Aufgabe“, so Schulz.
Schulz fordert mehr Solidarität in der EU
Der SPD-Chef beschönigt in Sachen Flüchtlingszuwanderung nichts. Er macht deutlich, dass viele der Flüchtlinge wieder in ihre Heimat werden zurückkehren müssen. Aber er verlangt, dass sich alle EU-Staaten an der Bewältigung der Zuwanderung beteiligen. Und er will jenen Staaten, die sich der Solidarität verweigern, EU-Mittel kürzen. Diesen Vorschlag will Schulz, wenn er Bundeskanzler ist, in Europa durchsetzen.
Portugal ist für ihn ein positives Beispiel. Das macht er in Catania mehrfach deutlich und erzählt, dass der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa ihm zugesichert habe, in einem freiwilligen Verfahren bis zu 10.000 Flüchtlinge aus Italien aufzunehmen. Für Schulz ist das „ein Akt praktizierter Solidarität“.
Eine solche bilaterale Lösung ist auch nach geltendem Dublin-Verfahren möglich. Danach müssen Neuankömmlinge zwar in dem Land Schutz beantragen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten und diese Länder müssen sich um die Flüchtlinge kümmern. Dennoch sind freiwillige Lösungen möglich, die zwei Länder untereinander treffen können. Beides bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil am vorigen Mittwoch.
Fluchtursachen wirkungsvoll bekämpfen
Um die Migration in der Europäischen Union zu regeln und „aus dem System der Hoffnungslosigkeit ein System der Hoffnung zu machen“, plädiert Schulz für ein legales Einwanderungssystem mit verbindlichen Verteilungsmechanismen. Gleichzeitig wirbt er für eine neue Afrika-Strategie, um Fluchtursachen wirkungsvoll und praktisch bekämpfen zu können. Schulz: „Was wir brauchen, sind pragmatische Schritte.“
Von einer solchen Politik würden auch junge Männer wie jene aus dem Flüchtlingsheim in Catania profitieren. Sie bekämen eine Perspektive vor Ort und müssten nicht mehr die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer wagen.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.