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Fliegt Griechenland aus dem Euro? So sieht das Grexit-Szenario aus

Griechenland hat die Wahl: Drittes Hilfsprogramm unter strikten Auflagen oder Grexit, also das Ausscheiden aus dem Euro. Nach dem Euro-Gipfel am Dienstag steht fest: Es wird sehr ungemütlich in Europa.
von Peter Riesbeck · 8. Juli 2015
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Also, sprach Angela Merkel: „Wir sind bereit, alles zu tun, um den Euro zu schützen.“ Das klang noch wie eine großzügige Offerte. Von einem „dritten Hilfsprogramm“ sprach Angela Merkel, das über das hinausgehe, „was wir bislang kennen“. Aber je länger sie redete, umso mehr wurde klar. Europa rüstet sich für den Rauswurf. „Erst kommen die langfristigen Vorschläge, dann die kurzfristige Finanzierung“, sagte die Kanzelerin und schließlich auch: „Sie sehen mich hier nicht ausgesprochen optimistisch.“

Europa gibt Griechenland noch fünf Tage

Es war ein denkwürdiger Sondergipfel in Brüssel. Europa gibt Griechenland noch fünf Tage. Am Sonntag dann wird entschieden, ob Griechenland die Voraussetzungen erfüllt für einen Verbleib in der Eurozone oder ob das Land gehen muss. „Wir sind auf alles vorbereitet“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und er machte auch deutlich, was das bedeutet: „Wir haben ein Grexit-Szenario. Im Detail. Und wir haben auch einen Plan für humanitäre Nothilfen. Und wir haben einen Plan, um Griechenland zu halten.“

Das sind sie also die Drohungen und Alternativen, die Griechenlands Links-Premier Alexis Tsipras bleiben. Am Mittwoch wird er einen Hilfsantrag beim Rettungsfonds ESM einreichen. Aber bevor weiteres Geld fließt, fordern die Eurostaaten Reformen, sprich Sparmaßnahmen. Da ist sie also die Konditionalität. Bis Freitagmorgen, 8.30 Uhr, müssten die Sparvorschläge vorliegen, sagte Juncker.

Verbleib im Euro nur gegen Reformen

Das klang nicht gut. Es bleiben zwei Szenarien. Das Positive: Verbleib gegen Reformen. Tsipras liefert, die Europartner bewilligen weiteres Geld. Es bleiben aber Unwägbarkeiten. Der ESM stellt harte Auflagen. So muss der Bundestag selbst Verhandlungen über ein Programm zustimmen. Griechenland aber fehlt die Zeit. Das Land ist insolvent. Die Banken halten noch zwei Tage durch, fürchten Experten. Sie werden nur noch durch – an verschärfte Auflagen gebilligte – Notkredite der Europäischen Zentralbank (EZB) gestützt. Am 20. Juli steht ein Kredit über 3,5 Milliarden Euro bei der EZB an. Kurzfristige Überbrückungshilfen, bieten die Europartner. Dafür fordern sie langfristige Verpflichtungen.   

Und da beginnt Tsipras‘ Problem und das negative Szenario: Grexit! Griechenlands Wähler haben per Referendum gerade die Sparvorschläge zurückgewiesen. Nun aber fordert Europa noch weitergehende Kürzungen. Und es verweigert politische Zugeständnisse. „Einen Haircut wird es nicht geben“, stellte Merkel klar. Mehrere Ökonomen wie Thomas Piketty, Jeffrey D. Sachs und der frühere Wirtschaftsstaatssekretär Heiner Flassbeck hatten dies in einem offenen Brief in der New York Times gefordert. Auch Tsipras bräuchte eine Schuldenerleichterung, um das Sparpaket daheim zu verkaufen. Es wird aber allenfalls einen Schuldendeal light geben, sprich längere Kreditlaufzeiten. Tsipras steht vor einem Dilemma.

Das große Angebot könnte also auch ein großer Bluff sein. Am Sonnabend kommen die Finanzminister der Eurostaaten in Brüssel zusammen. Zwei Wochen zuvor hatten sie an selber Stelle schon einmal getagt und die Verhandlungen mit Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis abgebrochen. Kommt nun das endgültige Aus? Diese Entscheidung steht ihnen nicht zu. Deshalb werden am Sonntag in Brüssel die Staats- und Regierungschefs aller 28 EU-Staaten zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Es gehe um Fragen, die „alle angehen“, hieß es in Brüssel. Rein rechtlich können nämlich nur alle EU-Staaten über Griechenlands Zukunft in Europa befinden. Und notfalls auch Hilfsmaßnahmen beschließen.

"Zeit des Feierns auf Kosten anderer ist vorbei"

Dass die Bevölkerung in Europa heimlich fast erleichtert ist über den möglichen Abschied, das ist das traurige Verdienst der Verhandlungsführung von Links-Premier Alexis Tsipras. Seine schärfsten Gegner sitzen nicht einmal in Berlin, sondern im Osten Europas. „Die Zeit des Feierns auf Kosten anderer ist vorbei“, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite. Lettlands Notenbanker Ilmars Rimsevics erklärte: „Die griechische Nation war kühn und hat sich selbst aus dem Euro herausgewählt.“ Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen hatten heftige Sparprogramme vollzogen, um in den Euro zu kommen. Bis hin zu Kürzungen von Renten und Mindestlohn. Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis, ehemals lettischer Premier, sprach es offen aus: Ohne Reformen sei ein „Grexit nicht ausgeschlossen“. Was mal eine Drohung war, könnte am Sonntag Realität werden. An einem Sonntag im Juli also, und jeder hat's gewusst. Europa bleiben fünf Tage. Griechenland im Euroraum auch.

Autor*in
Peter Riesbeck

ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.

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