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Finnland: Warum Sanna Marin die Parlamentswahl verloren hat

„Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die finnische Rockstarministerpräsidentin als Person polarisiert“, sagt Kristina Birke Daniels von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Polarisierung habe die Rechten bei der Parlamentswahl gestärkt.
von Lisa Felgendreff · 4. April 2023
Die beliebte Ministerpräsidentin Sanna Marin hat mit ihrer Partei bei der Parlamentswahl Stimmen dazu gewonnen. Sie landete dennoch hinter dem Konservativen Petteri Orpo, der nun wohl das Amt übernehmen dürfte.
Die beliebte Ministerpräsidentin Sanna Marin hat mit ihrer Partei bei der Parlamentswahl Stimmen dazu gewonnen. Sie landete dennoch hinter dem Konservativen Petteri Orpo, der nun wohl das Amt übernehmen dürfte.

Die bislang jüngste Ministerpräsidentin Finnlands, Sanna Marin, und ihre Sozialdemokrat*innen haben die Wahl verloren. Obwohl die Partei zugelegt hat, landete sie nur auf dem dritten Platz. Lag es vielleicht auch an ihr?

In Finnland ist es bisher erst zwei Mal vorgekommen, dass die Partei des Premierministers ihren Stimmenanteil vergrößert hat. In der Regel verloren die bisherigen Amtsträgerinnen und Amtsträger immer die Wahl. Kurz sah es so aus, als könne Sanna Marin diese Regel brechen, denn sie war die populärste Premierministerin seit 30 Jahren und mit Abstand die Beliebteste unter den drei Kandidaten. Aber der Zuwachs der Sozialdemokraten und die daraus folgenden drei neuen Sitze im Parlament waren zu wenig, um stärkste Partei zu werden.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die „finnische Rockstarministerpräsidentin“ als Person polarisiert. Alles, was progressive und linke Menschen an der Sozialdemokratin lieben, hassen Konservative: Sie ist eine junge, linke Frau, die immer wieder mit den traditionellen Rollenbilder in der Politik bricht. Das war eine gute Projektionsfläche, um ihr von mangelnder Seriosität bis Drogenkonsum alles Mögliche vorzuwerfen. Es grenzte an Verleumdung, wenn trotz Aufklärung vermeintlicher Skandale im Wahlkampf alte Vorwürfe wieder hervorgekramt wurden. Allerdings wählt Finnland Parteien und nicht die Ministerpräsidentin, so dass die Frage eher ist, warum die anderen Parteien besser abschnitten.

Nicht zuletzt auch die rechten.

Richtig. Obwohl Finnland mit das konservativste der fünf nordischen Länder ist, hat die finnische Politik mit dieser Wahl einen enormen Rechtsruck erlebt. Die rechtspopulistischen, nationalistischen „Finnen“ waren zwar schon 2015 an einer Regierung beteiligt. Dass sie allerdings mit 20,1 Prozent nur mit 0,7 Prozentpunkten knapp am ersten Platz vorbeischossen, ist besorgniserregend. Vor allem, weil sich die Partei damals in der Regierungsbeteiligung erst radikalisiert und dann gespalten hatte, und es jetzt der radikalere Teil ist, der den Höhenflug erlebt.

Mit welchen Themen konnte die nationale Sammlungspartei die Wahl für sich entscheiden?

Überraschenderweise mit vermeintlich angestaubten Rezepten: Die Sammlungspartei will die Staatsverschuldung in acht Jahren um sechs Milliarden Euro verringern, und dieses Austeritätsprogramm soll mit Steuererleichterungen einhergehen. Das Thema Staatsverschuldung ist ein traditionsreiches Thema der finnischen Wahlen. Konservative, Volkswirtschaftler und Journalistinnen treiben es immer wieder an. Tatsächlich liegt die Verschuldung mit 70,8 Prozent unter dem EU-Durchschnitt und nur leicht über der Deutschlands, die bei 67 Prozent liegt. Das Eurobarometer zeigt aber, dass die finnische Bevölkerung große wirtschaftliche Abstiegsängste hat. Der Wirtschaftsabschwung und die Inflation in der schlimmsten Energiekrise seit den 1970ern sowie die Unsicherheiten, wie es mit den vielen Krisen weitergeht, werfen für viele die Frage auf, wie und ob das finnische Wohlfahrtsmodell weiter tragbar bleibt.

Wodurch haben die rechten Kräfte im Land so viel Zuwachs bekommen?

Riikka Purra, die Vorsitzende der „Finnen“, war der größte Wahlmagnet und hat sogar vor Sanna Marin die meisten Stimmen in der Wahl bekommen. Sie ist ruhig, zurückhaltend und intellektuell und hat ihre Partei in den letzten Jahren wirtschaftspolitisch neu und konservativer aufgestellt. So arbeitete sie gezielt seit zwei Jahren auf eine Annäherung an die Konservativen hin, was diese ihr schon im Wahlkampf mit dem Koalitionsangebot entlohnt haben.

Während ihre Partei früher besonders im ländlichen Finnland stark war, zielt sie nun in Richtung Mitte der Gesellschaft. Außerdem ist einer ihrer ehemaligen Vorsitzenden ein wissenschaftlich fundierter Ukraineexperte, der durch die Medienaufmerksamkeit an seinen Kenntnissen sein radikales Image umkehren konnte. Durch den gezielten Einsatz sozialer Medien, besonders TikTok, schafften es „die Finnen“, viele Erstwählerinnen und Erstwähler von sich zu überzeugen. Dass sie nicht mal ein Parteiprogramm hatten, spielte für 20 Prozent der Bevölkerung scheinbar keine Rolle.

Insgesamt liefern „die Finnen“ vermeintlich einfache Antworten auf die komplexen politischen Herausforderungen unserer Zeit und versprechen den Wohlfahrtsstaat für alle, die in Finnland geboren sind. Gleichzeitig bedienen die Finnen die Diskurse „wir wollen nicht wie unser Nachbarland Schweden in Gangkriminalität und überforderten öffentlichen Dienstleistungen“ leben und schüren Angst vor einem vermeintlichen Bevölkerungsaustausch, dem Kampfbegriff der Neuen Rechten. Sie waren damit erfolgreich, obwohl die Quote der Finnen mit migrantischem Hintergrund sehr gering ist, und Facharbeiterinnen und Facharbeiter dringend gesucht werden.

Wie hat sich der Nato-Beitritt kurz vor der Wahl auf das Ergebnis ausgewirkt?

Wahlen werden mit Zukunftsversprechen und Gestaltungswillen gewonnen. Sicherheit lag zwar auf der Prioritätenliste der Bevölkerung unter den ersten zehn Plätzen, aber Sanna Marins Verdienst in dieser Sache galt schon als umgesetzt.

Das bisherige Regierungs-Bündnis bestand aus fünf Parteien. Auch dieses Mal wird die Mehrheitsfindung schwierig werden: Vor allem mit den erstarkten „Wahren Finnen“. Welche Bündnisse sind jetzt wahrscheinlich?

Die Möglichkeiten für Petteri Orpo, dem Wahlgewinner der Konservativen, schwinden, je genauer man sie betrachtet – und die meisten davon sind ohnehin schlecht für ihn. Wahrscheinlich wird er zuerst eine konservative Mehrheit ins Auge fassen, bevor er mit den Sozialdemokraten verhandelt. Das heißt, er beginnt damit, „die Finnen“ ins Boot holen – auch wenn dort inhaltliche Differenzen zur Arbeitsmigration sowie unterschiedliche Auffassungen zum Klimaschutz bestehen. Bei beiden haben „die Finnen“ eine Blockadehaltung. Damit diese Koalition eine Mehrheit hat, müsste sie allerdings noch das schwarze Schaf der vorherigen Regierung, die agrarisch-liberale Zentrumspartei überzeugen. Dann hätten sie eine komfortable Mehrheit von 117 Sitzen. Die Zentrumspartei passte politisch nicht in die letzte Koalition und erlebte dadurch gestern zum zweiten Mal in Folge ein vernichtendes Wahlergebnis. Ihre Parteichefin hat angekündigt, dass sie in die Opposition geht. Natürlich kann das ein Versuch sein, ihren Preis als Koalitionärin in die Höhe zu treiben.

Obwohl die Konservativen noch weitere ideologisch verbündete kleinere konservative und liberale Parteien zur Auswahl haben, sind die vehement gegen eine Koalition mit „den Finnen“. Ihr Forderungskatalog dürfte zu lang sein, als dass er von den Rechten angenommen werden kann.

Wenn es nicht möglich ist, eine Regierung mit den „Finnen“ zu bilden, ist die andere große Option, die Sozialdemokratie einzubinden. Dann wird es in der Wirtschaftspolitik schwieriger, aber in vielen anderen Fragen einfacher. In der Stadtentwicklung zum Beispiel könnte das Finnland voranbringen. Allerdings müsste dann wieder die Zentrumspartei mit an Bord.

Es gibt noch ein paar weitere Optionen, jedoch dürfte der Beziehungsstatus der neuen Regierungskoalition ein paar Monate „kompliziert“ bleiben. Was in Zukunft von Petteri Orpo als neuem Regierungschef zu erwarten ist, werden wir erst dann wissen, wenn er es geschafft hat, eine Mehrheit zu bilden.

Am 3. April erschienen im IPG-Journal.

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Autor*in
Lisa Felgendreff

ist im Referat Globale und Europäische Politik der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin tätig. Sie studiert Globale Kommunikation für Politik und Gesellschaft in Erfurt und ist freiberufliche Journalistin.

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