FES-Studie: Warum Martin Schulz optimistisch in Europas Zukunft blickt
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Der Begriff der europäischen Souveränität ist häufig Gegenstand politischer Debatten. Doch was damit gemeint ist, unterscheidet sich quer über den Kontinent. Welches Verständnis eigentlich haben die Bürger*innen in der EU von europäischer Souveränität? Ist der Begriff für sie überhaupt noch zeitgemäß oder inzwischen überholt? Um das herauszufinden, hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos im Auftrag der französischen Jean-Jaurès-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung 8.000 Menschen aus acht Ländern mit Hilfe einer repräsentativen Stichprobe über das Internet befragt: Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, Lettland, Schweden, Rumänien und Polen.
Finanzkrise entscheidend für EU-Skepsis
„Vieles von dem, was die Studie zeigt, habe ich erwartet. Das spiegelt auch meine lange Erfahrung als Europapolitiker wider“, sagt Martin Schulz, seit Dezember Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung und von 2012 bis 2017 Präsident des Europaparlamentes. Schulz diskutiert die Ergebnisse der Studie am Dienstag in einem Online-Webinar gemeinsam mit dem früheren französischen Premierminister Jean-Marc Ayrault. Überrascht habe Schulz allerdings die hohe Zustimmung zum Begriff der Souveränität in Polen. Demgegenüber steht eine große Zahl von Menschen in Italien, die den Begriff als veraltet erachten. „Das muss uns besorgt machen, weil Italien immer eines der proeuropäischsten Länder war“, mahnt Schulz.
Der frühere SPD-Vorsitzende führt diese Werte – auch in Spanien halten 38 Prozent der Befragten den Begriff für veraltet – auch auf den Umgang der EU-Institutionen mit den südeuropäischen Ländern während der Wirtschafts- und Finanzkrise vor zehn Jahren zurück. „Am meisten optimistisch stimmt mich, dass die meisten Menschen europäische und nationale Souveränität als komplementär betrachten“, sagt Schulz.
Nationale und europäische Souveränität
Daraus folgt für den FES-Chef, dass die europäische Souveränität die nationale nicht ersetzen sollte. Jedoch sollten „Dinge, die wir nicht mehr national regeln können“, stärker auf die europäische Ebene übertragen werden. Dazu zählt Schulz etwa die Bekämpfung des Klimawandels oder handelspolitische Fragen. Gleichzeitig müssten Themen wie die Frage der Wasserversorgung stärker auf die regionale Ebene verlagert und dort entschieden werden. Für Schulz gilt: „Nicht nationale gegen europäische Politik ausspielen, sondern nationale Souveränität wo möglich und europäische Souveränität wo nötig.“
Für Jean-Marc Ayrault, der von 2012 bis 2014 während der Präsidentschaft von Francois Hollande französischer Premierminister war, stellt die Bewältigung der Corona-Pandemie gewissermaßen einen Wendepunkt in der europäischen Zusammenarbeit dar. Insbesondere der europäische Wiederaufbaufonds habe für Zuversicht bei den Bürger*innen gesorgt. „Die EU hat im Rahmen der Krise gezeigt, dass sie in der Lage ist, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Das ist wichtig in der öffentlichen Wahrnehmung“, sagt Ayrault. „Deswegen stimmt uns diese Umfrage zuversichtlich und klärt darüber auf, welche Punkte den Menschen wichtig sind.“
Sicherheit und Wirtschaftswachstum
Konkret benennen mehr als zwei Drittel der Befragten eine prosperierende Wirtschaft sowie eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Voraussetzungen für ein souveränes Europa. Auch die Gewährleistung der europäischen Produktion in strategischen Bereichen wie Ernährung und Gesundheit spielt für 65 Prozent der Menschen eine große Rolle. Ayrault regt daher eine – notwendige – Debatte über künftige Kompetenzverteilungen in diesen Bereichen an: „Diese muss man auch zwischen Franzosen und Deutschen führen. Brauchen wir eine stärkere Integration unserer Verteidigungskräfte? Sind wir dazu bereit?“ Europa dürfe generell nicht versäumen, rechtzeitig zu handeln. Das gelte auch für die Bekämpfung des Klimawandels, mahnt er.
Dennoch ist der französische Sozialist optimistisch, was die Zukunft Europas angeht. Auch wegen Donald Trump. Dessen Präsidentschaft habe letztlich entscheidend dazu beigetragen, die europäische Solidarität zu stärken. „Trump hat der EU in gewisser Weise gedient. Die Europäer haben von Anfang an dagegen gehalten. Deswegen können wir positiv in die europäische Zukunft blicken.“ Martin Schulz teilt diesen Optimismus. „Ja, eindeutig. Ich habe über alle Krisen hinweg nie den Optimismus verloren“, antwortet er auf eine entsprechende Nachfrage des Moderators.
Schulz: „Ein entscheidender Punkt für die Sozialdemokratie mit Olaf Scholz“
Wichtig sei, hebt Schulz hervor, die europäischen Werte und Prinzipien zu verteidigen – auch im ökonomischen Wettbewerb. „Die Menschen spüren: Ökonomische Prosperität und soziale Gerechtigkeit sind ein Schutz nach außen und nach innen. Unser Modell muss daher wettbewerbsfähig bleiben gegenüber demokratiefeindlichen und unsozialen Systemen“, sagt er.
Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl sei nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel eine entscheidende Frage, wer künftig auf Augenhöhe mit Macron, Biden oder Putin verhandeln könne. „Das wird eine ganz entscheidende Frage und ein entscheidender Punkt für die Sozialdemokratie mit Olaf Scholz. Da glaube ich, dass wir eine gute Chance haben“, glaubt Schulz. Am Tag zuvor hatte die SPD den Entwurf für ihr Wahlprogramm präsentiert. Darin gehört Europa neben Zukunft und Respekt zu den Kernelementen. „Deshalb kommt diese Studie für uns als Wahlkämpfer in Deutschland zum richtigen Zeitpunkt“, ist Martin Schulz überzeugt.
Die Ergebnisse der Studie finden Sie hier.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo