Ferner: „Tsipras muss klar sagen, was ein Nein am Sonntag bedeutet“
In der Nacht ist das Hilfspaket für Griechenland ausgelaufen, nachdem am Wochenende die Verhandlungen zwischen Griechenland und den europäischen Institutionen über eine Verlängerung der Finanzhilfen gescheitert waren. Wer trägt die Verantwortung?
Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Die griechische Delegation hat den Verhandlungstisch am Samstag ohne Not verlassen. Das war nicht gut und hat Vertrauen zerstört. Aber die Türen der Euro-Länder sind nach wie vor nicht verschlossen. Deshalb sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, wie wir aus der Krise vernünftig herauskommen.
Ist das für Sonntag angekündigte Referendum der griechischen Regierung ein vernünftiger Schritt, die Krise zu beenden?
Im Prinzip ist ein Referendum über eine so weitreichende Frage eine sinnvolle Idee. Den Zeitpunkt stelle ich aber infrage: Das aktuelle Rettungspaket ist in der vergangenen Nacht ausgelaufen. Sinnvoll wäre ein Referendum nur gewesen, wenn das Ergebnis vor dem Auslaufen festgestanden hätte. Die bevorstehende Abstimmung ist damit schon recht schräg. Offenbar war es so, dass Ministerpräsident Tsipras im Parlament keine Mehrheit für ein Hilfspaket hatte und sich deshalb in das Referendum geflüchtet hat. Das dann aber auch noch mit der falschen Ansage an das Volk, nämlich der Aufforderung, „Nein“ zu sagen. Wenn es so kommt, ist der Austritt aus dem Euro unvermeidlich, mit allen Folgen für die griechische Bevölkerung. Dass die griechische Regierung die Folgen einer Ablehnung des Pakets nicht klar kommuniziert, halte ich für verantwortungslos.
Sie fordern also mehr Ehrlichkeit von der griechischen Regierung?
Ja. Ministerpräsident Tsipras sollte klar sagen, dass ein Nein bedeutet, dass Griechenland künftig vollkommen auf sich allein gestellt ist und niemand mehr dem Land einen Kredit gewähren wird.
Welche Folgen hätte ein griechisches Votum für einen Austritt aus dem Euro für Europa?
Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro wäre eine verheerende Botschaft. Er würde das Vertrauen gerade der jungen Generation in Europa zerstören. Die europäische Idee würde deutlich leiden, wenn sich ein Mitglied gegen die Unterstützung der anderen Länder ausspricht. Die rein praktischen Auswirkungen dagegen wären für Europa sicherlich beherrschbar, weil die Mechanismen, die in den vergangenen Jahren etabliert wurden, den Euro stützen würden.
Die Stimmen, die sagen, Angela Merkels Austeritätspolitik sei gescheitert, werden lauter. Welche Mitschuld trägt die Kanzlerin an der Krise?
Wie gesagt geht es nicht um Schuldzuweisungen. Die Entscheidungen, die zu Griechenland getroffen wurden, hat die Eurogruppe immer als ganze getroffen. Ihr kann man vorwerfen, dass der Zeithorizont zu Beginn der Hilfsmaßnahmen zu eng war, die Anforderungen an Griechenland zu hoch waren und keinerlei Wachstumsimpulse gesetzt wurden. Man hätte sich auf einen Mix aus Einsparungen, Einnahmeverbesserungen und Investitionen verständigen müssen anstatt das Land derart radikal dazu zu zwingen, sich noch weiter in die Krise hineinzusparen. Und vor allem hätten die starken Schultern mehr zur Bewältigung der Krise herangezogen werden müssen. Der größte politische Fehler, der in der Griechenland-Krise gemacht wurde, war, dass man den damaligen Ministerpräsidenten Papandreou 2011 gedrängt hat, das von ihm geplante Referendum über den Euro abzusagen. Damals hätte sich die griechische Regierung die Unterstützung des Volkes auch für möglicherweise einschneidende Maßnahmen sichern können. Das ist versäumt worden. Damit hat man es allen folgenden Regierungen leicht gemacht, sich hinter den europäischen Institutionen zu verstecken und ihnen den schwarzen Peter zuzuschieben. Das hat die Stimmung in Griechenland vergiftet und gegen Europa aufgebracht. Populisten hatten da leichtes Spiel. Das rächt sich jetzt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.