International

Feministische Außenpolitik: „Wir rufen keine Revolution aus.“

Annalena Baerbock und Svenja Schulze stellen in Berlin Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik vor. Beide Ministerinnen betonen, warum diese eigentlich eine Selbstverständlichkeit sind.
von Jonas Jordan · 1. März 2023
Zwei, die sich gut verstehen und gemeinsam für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik einstehen: Svenja Schulze und Annalena Baerbock
Zwei, die sich gut verstehen und gemeinsam für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik einstehen: Svenja Schulze und Annalena Baerbock

Svenja Schulze eilt extra noch einmal zum Podium, um diese Frage zu beantworten. Eine Teilnehmerin aus dem Publikum möchte bei der Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion zu einem Jahr Zeitenwende wissen, welche Bedeutung die Bundesregierung der Beteiligung von Frauen im Bereich der Konfliktlösung und dem Wiederaufbau beimesse. Für die Entwicklungsministerin ist das offensichtlich eine Steilvorlage: Derzeit dienten nur 64 Prozent aller Projekte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit direkt oder indirekt der Gleichstellung. Ihre Zielsetzung sei, diesen Wert bis zum Ende der Legislaturperiode auf 94 Prozent zu erhöhen. Denn es mache einen Unterschied, ob beispielsweise bei Projekten zur Wasserversorgung auch Frauen als diejenigen, die das Wasser holten, miteinbezogen würden.

94 Prozent aller Projekte für Gleichstellung

Diesen Unterschied macht Schulze auch am Mittwochmittag deutlich, als sie in einem Pressestatement vor dem Kanzleramt im Anschluss an die Kabinettssitzung gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) die Leitlinien der Bundesregierung für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik vorstellt. „Feministische Außen- und Entwicklungspolitik gehen Hand in Hand. Wir haben das gemeinsam entwickelt“, sagt Schulze. Die deutsche Entwicklungspolitik solle mithelfen, Armut und Hunger zu bekämpfen sowie Gesellschaften gerechter zu machen. Dafür sei es aber notwendig, auch die Perspektive von Frauen mitzudenken und zu adressieren.

Frauen müssten ein Recht auf Land und Zugang zu Ressourcen wie Bildung, dem Gesundheits- und Finanzsystem bekommen. Darüber hinaus gehe es aber auch um Repräsentanz. „Frauen müssen in Entscheidungen eingebunden werden“, fordert Schulze und nennt sogleich ein erfolgreiches Beispiel für diese Strategie: der Aufbau eines Wassersystems in Sambia, an deren Entwicklung Frauen erstmals beteiligt waren. „Das sind am Ende die erfolgreichen Projekte, und das ist das, was wir mit deutscher Entwicklungspolitik erreichen wollen“, sagt Schulze. Auch in Lateinamerika sei die Perspektive von Frauen wichtig für die Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, zum Beispiel beim Friedensprozess in Kolumbien oder in Brasilien, wo die Rechte von Frauen unter der Regierung von Bolsonaro systematisch beschnitten wurden. „Wir helfen jetzt, dass Frauen sicher in der Gesellschaft leben können“, sagt Schulze. 

Rund 30 Länder weltweit betreiben feministische Außenpolitik

Außenministerin Baerbock sagt: „Wir rufen hier heute keine Revolution aus, sondern wir tun eine Selbstverständlichkeit, nämlich dass wir auch in der Außen- und Entwicklungspolitik dafür sorgen, alle Menschen zu erreichen.“ In Bezug auf eine feministische Außenpolitik spricht sie von einem „Realfeminismus“, der deutlich mache, dass man sich mit den realen Voraussetzungen auseinandersetzen müsse. Bei jeder finanziellen Leistung gelte es, zu fragen, ob sie allen Menschen zugute komme, also auch Frauen. Baerbock weist daraif hin, dass weltweit bereits rund 30 Staaten sich einer feministischen Außenpolitik verschrieben hätten. Dadurch stünden Länder wie Albanien und Ruanda beispielsweise mit Blick auf eine angemessene Repräsentanz von Frauen besser da als Deutschland.

Unterstützung für diese Strategie kommt auch aus der SPD-Bundestagsfraktion. Mit den Leitlinien sorge die Bundesregierung dafür, die Belange von Frauen in der internationalen Politik stärker mitzudenken, kommentiert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich. „Eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik ist überfällig“, findet sie. Denn das Ziel müsse sein, Frauen in einer männlich geprägten Welt den Platz zu verschaffen, der ihnen zustehe. „Dafür müssen wir ins Handeln kommen. Feminismus in der internationalen Politik darf kein theoretisches Konstrukt bleiben, sondern muss das Leben von Frauen weltweit konkret verbessern. Frauen machen die Hälfte der Menschheit aus und werden noch immer auf der ganzen Welt von patriarchalen Strukturen unterdrückt“, sagt Heinrich.

„Geschlechtergerechtigkeit wird jetzt Chefinnen-Sache“

Auch die Entwicklungsorganisation ONE begrüßt in einer Pressemitteilung den gemeinsamen Fokus auf Feminismus in der Außen- und Entwicklungspolitik. „Geschlechtergerechtigkeit wird jetzt Chefinnen-Sache – und das ist gut so“, kommentiert Stephan Exo-Kreischer, Direktor von ONE Deutschland. Denn Frauen seien die größte marginalisierte Gruppe auf der Welt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare