Den Bürgern Europas wird für die Finanzindustrie sowie die überschuldeten Euroländer eine Last nach der anderen aufgebürdet. Die EU haftet schon für 1,8 Billionen Euro. Davon entfallen auf die Bundesrepublik inzwischen mehr als eine halbe Billion Euro.
Mindestens ebenso schwer wirken die Kürzungsauflagen, die den Krisenländern als Gegenleistung für die finanziellen Rettungsoperationen abverlangt werden: Sie sorgen für drastische Einbrüche bei Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Löhnen, Sozialleistungen sowie arbeits- und sozialrechtlichem Schutz. Auch in den übrigen Mitgliedsländern der EU sind die Auswirkungen der Wirtschaftsrezession bereits deutlich spürbar. Die Arbeitslosenquote hat in der gesamten EU im Durchschnitt die 10-Prozentmarke überschritten. Vor allem die jungen Menschen leiden darunter: Bereits mehr als jeder fünfte junge Mensch in der EU (bis 25 Jahre) ist arbeitslos.
Der EU-Fiskalpakt ist ein weiteres deutliches Zeichen für die gravierenden wirtschafts- und sozialpolitischen Defizite in der EU. Dazu ist sarkastisch festzustellen: Was der Neoliberalismus auf europäischer und nationaler Ebene seit Ende der 1970er Jahre bei dem kontinuierlichen Sozialabbau nicht geschafft hat, wird jetzt durch die Hintertür der Finanzkrisen durchgesetzt.
Sozialleistungen werden abgebaut
Wohin „ die Reise geht“ hat erst kürzlich der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Italiener Mario Draghi, unverblümt in öffentlichen Interviews dargestellt: Der Sozialstaat europäischer Prägung hat keine Zukunft. So kann es kaum verwundern, dass bei dem monatelangen politischen Gezerre um den EU Fiskalpakt lediglich am Rande vor der Gefahr gewarnt wurde, die Euro-Krisenländer „kaputtzusparen“. Die Forderungen nach einem „Marschallplan“ für Griechenland erleiden daher eher das Schicksal von Lippenbekenntnissen.
Vage Absichtserklärungen
Wenig überzeugend sind auch die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission für ein „Beschäftigungspaket“, mit dem sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen will. Die Zielsetzung ist zweifellos richtig: Durch die Förderung der Beschäftigung in kleinen und mittleren Betrieben sowie den Einsatz umfassender aktivierender Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsförderung auf nationaler Ebene sollen bis 2020 mehr als 17 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings sind dies lediglich vage Absichtserklärungen ohne ausreichenden rechtlichen, institutionellen und finanziellen Rahmen in der EU sowie in den Mitgliedsstaaten.
Ohne Zweifel ist es notwendig – wie die EU Kommission fordert – die grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitnehmer in der EU zu verbessern. Dazu müssen Informationen über offene Stellen und potentielle Arbeitnehmer europaweit besser ausgetauscht, Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse gegenseitig anerkannt und die sprachlichen Voraussetzungen verbessert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass gerade die Krisenländer durch einen Wegzug ihrer qualifizierten Jugend nicht noch weiter bei der wirtschaftlichen Entwicklung gehindert werden.
Schwer nachvollziehbar ist der Appell der EU Kommission, für Rumänien und Bulgarien sofort die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen. Dies könnte den Konkurrenzdruck für die vielen jungen Arbeitslosen insbesondere in den Krisenländern verschärfen und den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erhöhen.
Eiertanz um Mindestlöhne
Immer wieder wird der „geteilte Arbeitsmarkt“ in den überschuldeten Ländern Griechenland, Spanien und Portugal für die hohe Jugendarbeitslosigkeit mit nahezu 50 Prozent verantwortlich gemacht: Den mit hohem arbeitsrechtlichen Schutz versehenen Arbeitsplätzen der langjährig Beschäftigten stehen die jungen Menschen mit prekärer Beschäftigung gegenüber. Dies erinnert fatal an das „Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub“. Beabsichtigt wird damit der Abbau von Kündigungsschutz, Abfindungen, Tarif- und Mitbestimmungsrechten, Arbeitslosenunterstützung und Renten. Dies geht aus verschiedenen Konzepten der EU Kommission zur Erläuterung ihrer arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen hervor.
Äußerst zurückhaltend sind die Vorschläge der EU Kommission in dem jetzt vorgelegten Beschäftigungspaket, wie sie Dumping von Löhnen und Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Arbeitsvermittlungen verhindern will. In den letzten Monaten sind dazu in den europäischen Krisenländern umfassende Arbeitsmarktreformen politisch durchgeboxt worden. Allerdings fehlt für die immer wieder als notwendig geforderte Einführung und Ausweitung betrieblicher Ausbildungssysteme jegliches überzeugende Konzept. Die wiederholten Vorschläge zur Arbeitsförderung durch den Europäischen Sozialfonds bleiben gegenstandslos ohne zusätzliche finanzielle Mittel sowie den Verzicht auf den hohen finanziellen Eigenanteil , der gerade in den Krisenländern nicht geleistet werden kann.
Eine klare Aussage, dass tarifliche und gesetzliche Mindestlöhne hier einen wirksamen Riegel vorschieben müssen, wird nicht getroffen. Dabei könnte sich die EU-Kommission hierbei nicht nur auf die EU Entsenderichtlinie stützen, sondern vor allem auch auf die gesetzlichen Mindestlöhne, die inzwischen für die große Mehrheit ihrer Mitgliedsländer gelten.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.