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Europäischer Gerichtshof bremst polnische Disziplinarrichter aus

Die EU-Kommission fürchtet um die Rechtsstaatlichkeit Polens. Deshalb erlässt der EU-Gerichtshof eine einstweilige Anordnung gegen zentralen Baustein der polnischen Justizreform.
von Christian Rath · 8. April 2020

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) zeigt seine Zähne. In einer Eilentscheidung ordnete der EU-Gerichtshof an, dass die umstrittene polnische Disziplinarkammer für Richter bis auf weiteres ihre Arbeit einstellen muss. Das endgültige Urteil in dieser Sache wird aber wohl erst in rund einem Jahr verkündet.

EU-Kommission verklagt Polen

Seit 2015 regiert in Polen die nationalkonservative Partei PiS und versucht, die bis dahin unabhängige Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Unter anderem wurde 2017 beim Obersten Gericht eine Disziplinarkammer gebildet, die jeden polnischen Richter entlassen könnte. Auch der Inhalt von Gerichtsentscheidungen kann nun als Dienstvergehen gewertet werden.

Die EU-Kommission hat Polen deshalb im Oktober 2019 beim EuGH verklagt. Hauptvorwurf ist, dass die Richter der Disziplinarkammer nicht unabhängig sind. Sie seien nämlich vom polnischen Justizverwaltungsrat ausgewählt worden, der seit den PiS-Justizreformen ebenfalls nicht mehr unabhängig, sondern regierungsnah ist. Die Schaffung der Disziplinarkammer bedrohe die Unabhängigkeit der gesamten polnischen Justiz, weil diese wegen unbequemer Urteile nun mit persönlichen Sanktionen rechnen müsse.

Rechtsstaatlichkeit in Gefahr

Einige Wochen später beantragte die EU-Kommission zusätzlich noch eine einstweilige Anordnung. Die Arbeit der Disziplinarkommission solle schon vor dem endgültigen Urteil gestoppt werden, damit keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Über diesen Antrag hatte der EuGH Anfang März in Luxemburg verhandelt. Dabei wurde die EU-Kommission nur von fünf Mitgliedsstaaten ausdrücklich unterstützt: Belgien, Niederlande, Dänemark, Finnland und Schweden. Die anderen zwanzig EU-Staaten einschließlich Deutschland blieben neutral.

An diesem Mittwoch erließ nun die Große Kammer des EuGH die beantragte Eil-Anordnung. Die Vorwürfe der Kommission seien "dem ersten Anschein nach" gerechtfertigt, so der EuGH. Die Sache sei auch dringend, denn es drohe "großer Schaden" für die Rechtsstaatlichkeit in Polen. Die Anordnung greife zudem nicht übermäßig in die Justizorganisation Polens ein, da nicht die Auflösung der Disziplinarkammer angeordnet wird, sondern nur ein Ruhen ihrer Arbeit bis zum Endurteil des EuGH.

Keine unabhängigen Richter

Der EuGH hatte sich im November 2019 schon einmmal mit der Disziplinarkammer beschäftigt. Damals hatte das (noch unabhängige) Oberste Gericht Polens angefragt, ob die Disziplinarkammer und der Justizverwaltungsrat unabhängig seien. Der EuGH stellte dann aber nur allgemeine Maßstäbe auf und überließ deren Anwendung dem Obersten Gericht Polens.

Das Oberste Gericht Polens stellte daraufhin Anfang Dezember selbst fest, dass die Disziplinarkammer nach EU-Maßstäben nicht unabhängig ist. Im Januar 2020 erklärten das Oberste Gerichts zudem, dass sämtliche Richter, die der Justizverwaltungsrat seit Anfang 2018 zur Ernennung vorgeschlagen hat, keine unabhängigen Richter seien und nicht urteilen dürften. Dies betraf rund 550 Richter.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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