Europabeauftragter Bullmann: Wie die SPD die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen will
Am 1. Juli übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft in der EU – mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Ist das trotzdem ein Grund zur Freunde?
Die Corona-Krise ist die größte Herausforderung, die die Europäische Union bisher in ihrer Geschichte erlebt hat – was die Gesundheit der Menschen anbetrifft, aber auch im Hinblick auf die ökonomischen und sozialen Herausforderungen, vor denen wir stehen. In manchen Ländern geht es für die Menschen ums nackte Überleben. Sie haben in der Corona-Krise ihr Einkommen verloren. Nicht selten stehen sie in der Gefahr, aus ihrer Wohnung geworfen zu werden. Und auch die gesundheitliche Bedrohung ist ja noch lange nicht überwunden. Die Europäische Union muss jetzt beweisen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen. Deutschland trägt in den kommenden Monaten eine besondere Verantwortung. Worüber wir uns vielleicht aber auch freuen sollten, ist, dass unsere Partei, die SPD, bei der Bekämpfung der COVID-19-Krise das Heft fest in der Hand hat und den richtigen Kurs absteckt – in Deutschland wie in Europa.
In der Corona-Krise hat die EU Zusammenhalt vermissen lassen. Der Ton zwischen den Mitgliedsstaaten war zum Teil rau. Wie kann die EU wieder zusammengeführt werden?
Es hat in den vergangenen Monaten viele nationale Reflexe gegeben. Für die SPD war immer klar, dass das nicht der richtige Weg ist, um ein Virus zu bekämpfen, das sich an Grenzen nicht aufhalten lässt. Diejenigen, die zu Anfang der Krise verstärkt die nationale Karte gespielt haben, mussten zuletzt – zum Teil schmerzhaft – dazulernen. Niemand hat übrigens so stark zur gemeinsamen Überwindung der Krise beigetragen wie die SPD. Wir haben zum Beispiel dafür gesorgt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)so umgebaut wird, dass er den Ländern schnell nutzt, ohne dabei Schaden anzurichten wie es etwa noch im Nachgang zur Weltfinanzkrise der Fall war. Auch mit der gemeinsamen deutsch-französischen Initiative, die maßgeblich auf das Einwirken der SPD mit Olaf Scholz zurückgeht, haben wir einen gemeinsamen europäischen Ruck nach vorn hinbekommen, auf dem wir in den kommenden Monaten sehr gut aufbauen können.
Entscheidend wird voraussichtlich das europäische Wiederaufbauprogramm werden. Von vier Staaten gibt es Widerstand. Wie bewerten Sie das?
Wir sollten die vier Länder, die als „die sparsamen Vier“ bekannt sind, nicht über einen Kamm scheren. Die Niederlande werden neoliberal regiert, Österreich extrem konservativ. In beiden Ländern beobachte ich eine recht große Realitätsverweigerung. In Dänemark und Schweden hingegen spielen die Erfahrungen des eigenen starken Sozialstaats eine große Rolle bei der Bewertung des Programms. Es gibt die Befürchtung, dass sich andere nicht ebenso entschieden engagieren, um Solidarität zu Hause zu verwirklichen. Da müssen wir weiter Überzeugungsarbeit leisten und Befürchtungen abbauen. Die Harmonisierung der europäischen Steuersysteme und das Schließen von Steuerschlupflöchern spielen dafür eine wichtige Rolle. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt und hoffe sehr, dass wir schon im Juli zu konkreten Beschlüssen kommen werden.
Dänemark und Schweden werden sozialdemokratisch regiert. Gibt es da Gespräche zwischen den Schwesterparteien, um sie doch zu einer Zustimmung zu bewegen?
Ja, natürlich. Diese Gespräche laufen ständig und der SPD als einer wichtigen sozialdemokratischen Partei in Europa kommt dabei eine bedeutende Mittlerrolle zu. Gerade erst hat sich Norbert Walter-Borjans mit einem Brief an die Parteivorsitzenden der Sozialdemokraten in Dänemark und Schweden, aber auch in Österreich und den Niederlanden gewandt, in dem er erläutert hat, warum wir uns für eine solidarische Lösung stark machen und darum bitten, alle Kräfte zu mobilisieren, um zu einer gemeinsamen Lösung in Europa zu kommen.
Die Populisten machen bereits Stimmung gegen den EU-Haushalt, in den Deutschland künftig deutlich mehr wird einzahlen müssen. Wie hält die SPD dagegen?
Die Stimmen von rechts sind in der Corona-Krise sehr kleinlaut geworden. Die Menschen merken ja, dass die Populisten keine Antworten haben, wenn es hart auf hart kommt. Und sie verstehen, dass Deutschland aufgrund der Verflochtenheit der europäischen Wirtschaftssysteme darauf angewiesen ist, dass alle Länder wieder gut auf die Beine kommen. Im Moment haben rechte Populisten keine Konjunktur.
Auch um die nationalen Zahlungen zu begrenzen, will die SPD eigene Einnahmequellen für die EU schaffen. Woran denken Sie dabei?
Die SPD fordert schon seit langem eigene steuerliche Ressourcen für die Europäische Union. In der Corona-Krise nimmt diese Forderung jetzt Fahrt auf. Vorstellbar sind hier Elemente aus der Körperschaftssteuer, der Steuer auf unrecyceltes Plastik, Steuern auf den Umweltverbrauch, auch als Maßnahmen an den EU-Außengrenzen, um falsche Wettbewerbsvorteile zu verhindern. Auch eine Digitalsteuer werden wir weiter forcieren. Zwar wäre da eine globale Lösung besser, aber die ist zurzeit mit den USA nur schwierig zu machen. Deshalb könnten wir sie durchaus erst einmal in der EU einführen – zumal die Digitalbranche ja in den letzten Monaten durch die Corona-Krise große Gewinne gemacht hat.
Bestimmendes Thema der deutschen Ratspräsidentschaft wird also in jedem Fall der Umgang mit den Folgen der Corona-Krise sein. Bleibt da überhaupt noch Raum für andere Schwerpunkte wie Klimaschutz oder einen europäischen Mindestlohn?
Das schließt sich überhaupt nicht aus. Die Corona-Krise fördert unsere Stärken und Schwächen ungeschminkt zutage. Eine Erfahrung der vergangenen Wochen und Monate ist, dass die Gesellschaften, die am meisten von Ungleichheit und Ausgrenzung betroffen sind, sich am wenigsten gegen die Auswirkungen des Virus wehren konnten. Ungleichheit tötet – das ist eine Lehre, die wir leider ziehen müssen. Deshalb müssen die Anstrengungen für mehr Klimaschutz und bessere soziale Schutzstandards noch vergrößert werden. Die Europäische Union braucht deutlich mehr davon und nicht weniger. Europa hat auf große Herausforderungen immer mit großen Antworten reagiert und das sollten wir auch diesmal tun.
Bei aller Krisenbewältigung darf nicht vergessen werden, dass auch die Übergangszeit für den Brexit während der deutschen Ratspräsidentschaft ausläuft. Sehen Sie noch eine Möglichkeit, einen Ausstieg Großbritanniens, also einen harten Brexit, zu verhindern?
Die britische Regierung versucht zurzeit ihr Missmanagement auf die Europäer zu schieben. Das ist zum einen Nonsens, zum anderen keine gute Grundlage für vertrauensvolle Gespräche. Ich glaube allerdings, dass die Regierung von Premier Johnson kurz vor dem Offenbarungseid steht, weil die Folgen ihrer verfehlten Politik von Tag zu Tag offensichtlicher werden. Die EU ist weiter gesprächsbereit und wird alles dafür tun, dass der bereits entstandene Schaden gerade für Großbritannien nicht noch größer wird. Wir werden uns aber auch nicht kleiner machen als wir sind und uns womöglich in eine Position begeben, in der uns Großbritannien in einen Dumpingwettbewerb um die geringsten Standards zieht. Das gilt auch insbesondere für die Steuerpolitik. Diese Linie haben wir als SPD auch genau so formuliert.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.