Europa stärken: Warum die SPD den Vorschlägen Macrons folgen sollte
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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Europa-Rede auch einen gemeinsamen Haushalt für 19 Euroländer vorgeschlagen. Herr Horn, wo sehen Sie Vorteile?
Ein entscheidender Vorteil ist, dass man so eine Wirtschaftspolitik aus einer europäischen Perspektive betreiben kann. Der bisherige Blick aus Länderperspektive hat eine Menge Koordinationsprobleme geschaffen, vielleicht auch eine falsche Sichtweise.
Könnte das auch ein Ende der einseitigen Sparpolitik einleiten?
Wenn man die Aufgabe eines europäischen Finanzministers – ähnlich wie es der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble gesehen hat – mehr als obersten Sparminister sieht, dann sicherlich nicht. Andererseits schafft ein gemeinsamer Haushalt eine finanzielle Möglichkeit, gerade Krisenländer besser unter die Arme zu greifen. Aus europäischer Perspektive wäre das zu rechtfertigen, denn ein Land, das wirtschaftlich wegbricht, strahlt auf die ganze Währungsunion aus. Deshalb kommt es darauf an, wie man das Amt politisch ausfüllt.
Macron fordert einen gemeinsamen Mindestlohn in Europa und eine Angleichung der Unternehmensbesteuerung. Hilft es im Kampf gegen Lohn- und Steuerdumping?
Dahinter steckt vor allem der Gedanke, dass wir den europäischen Integrationsprozess häufig zu Lasten der Beschäftigten gestalten. Denn enge Handels- und Währungsbeziehungen führen dazu, dass Unterschiede in der Arbeitsmarktregulierung von großen Unternehmen ausgenutzt werden können. Es ist der erste Versuch, diese Möglichkeiten des Ausnutzens zu begrenzen und damit Europa auch als etwas Positives für Beschäftigte erfahrbar zu machen. Wenn Unternehmen jetzt nicht mehr ohne weiteres von einem Land in das andere wechseln können, weil dort der Mindestlohn deutlich niedriger oder die Besteuerung deutlich günstiger ist, finde ich diesen Vorschlag sehr hilfreich. Er muss natürlich auch politische Zustimmung finden.
Wie kann man sich einen gemeinsamen Mindestlohn in den unterschiedlichen Wirtschaftsregionen Europas vorstellen?
Da sind mehrere Modelle denkbar. In den USA gibt es einen Mindestlohn, bei dem nach oben hin abgewichen werden kann, was unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung trägt. Es lassen sich aber auch Prinzipien verankern, nach denen Mindestlöhne so gebildet werden, dass sie einen bestimmten Abstand zum mittleren Lohnniveau haben. Das ergebe in den einzelnen Ländern einen unterschiedlichen Mindestlohn, aber keinen beliebigen.
Wären von einer gemeinsamen Regulierung der Arbeitsmärkte auch Arbeitnehmerrechte in Deutschland betroffen?
Auch hier kommt es darauf an, was politisch gewollt ist. Mitbestimmungsflucht ist ein Problem in der europäischen Union. Beispielsweise ist es möglich, eine europäische Aktiengesellschaft gerade in dem Moment zu gründen, wo das Unternehmen in die Pflicht käme, Unternehmensmitbestimmung zu verwirklichen. Diese Fluchtnischen gefährden das deutsche Modell der Mitbestimmung. Wenn es hier gemeinsame Überlegungen gebe, kann das auch im Interesse deutscher Arbeitnehmer sein.
Das würde jedoch auch davon abhängen, wer die politische Macht hat...
Richtig. Ein Gegner der Mitbestimmung wird immer versuchen, diesen Weg zu nutzen, um die Mitbestimmungsrechte einzuschränken. Aber auch das Gegenteil ist möglich: Befürworter der Mitbestimmung können hier Rechte von Beschäftigten durchsetzen.
Sind die Vorschläge des französischen Präsidenten aus sozialdemokratischer Sicht zu begrüßen?
Wir können Gesellschaften heute nicht mehr national definieren. Was in Frankreich, in Spanien oder Griechenland passiert, geht auch uns in Deutschland an. Als Sozialdemokraten müssen wir mit Solidarität auf diese Entwicklungen reagieren. Das lässt sich nur mit europäischen Institutionen umsetzen, die eine solidarische Politik ausführen können. Deshalb ist es aus sozialdemokratischer Sicht unbedingt empfehlenswert, dem Angebot von Macron zu folgen.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.