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Europa-Spitzenkandidat Udo Bullmann: SPD braucht eine Politik der Hoffnung

Udo Bullmann, der Vorsitzende der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Europaparlament und SPD-Spitzenkandidat zur Europawahl will die EU neu aufstellen. Die EU müsse sich an die Bedürfnisse der Menschen anpassen, fordert er. Zugleich warnt Bullmann davor, die EU zu einer Projektionsfläche für alles Schlechte zu machen.
von Kai Doering · 22. Mai 2019
Mit Leidenschaft für Europa: Udo Bullmann S&D-Fraktionschef im EU-Parlament und Spitzenkandidat der SPD zur Europawahl
Mit Leidenschaft für Europa: Udo Bullmann S&D-Fraktionschef im EU-Parlament und Spitzenkandidat der SPD zur Europawahl

Udo Bullmann, es heißt, die Europawahl am 26. Mai sei eine Schicksalswahl. Worum geht es aus Ihrer Sicht?

Es steht in der Tat viel auf dem Spiel. Die Konservativen haben in den vergangenen Jahren dringende Reformen blockiert, das hat die Menschen frustriert und den Aufstieg der Rechten befeuert. Die Rechtsextremisten haben immer dann leichtes Spiel, wenn die Europäische Union zu lange von den Machtverwaltern regiert worden ist. Den Brexit hätte es meiner Meinung nach nicht gegeben, hätten wir früher die Entsenderichtlinie durchgesetzt. Jetzt geht es um die Frage: Lassen wir zu, dass die Konservativen mit „business-as-usual“ fortfahren und riskieren damit, dass unsere Union weiter auseinanderdriftet? Oder schaffen wir den Aufbruch hin zu einer wirklich sozialen Gemeinschaft? Die Menschen müssen wieder spüren, dass ihre Interessen und Rechte in Europa zur Geltung kommen. Das ist vor allem unsere Aufgabe als Sozialdemokraten.

Bei den Wahlen Ende Mai droht eine Verdopplung der Sitze für rechte und europafeindliche Parteien. Was würde das für das für das Europäische Parlament bedeuten?

Ich glaube nicht daran, dass es tatsächlich so kommen wird. Ich bin sehr viel in Europa unterwegs und egal wo ich hinkomme, merke ich, dass den Menschen sehr bewusst ist, worum es bei dieser Europawahl geht. Die hohe Wahlbeteiligung in Spanien beweist das. Die Menschen haben ein klares Signal für Offenheit, Freiheit und Solidarität gesetzt – und vor allem die Konservativen für ihren Schlingerkurs klar abgestraft. Genau das brauchen wir auch am 26. Mai.

Wie muss sich die EU verändern, um zukunftsfest zu sein?

Die EU muss sich an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Sie sind die Grundlage für alle institutionellen Veränderungen. Emmanuel Macron hat viele Ideen, wie sich die Institutionen der EU verändern können, aber die Reaktionen der der Straße in Frankreich zeigen, dass es ihm nicht gelingt, den Menschen nahe zu bringen, worum es ihm dabei eigentlich geht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch unsere Messinstrumente anpassen müssen. Wenn sich die Wohlfahrt einer Nation daran bemisst, wie sich das rechnerische Bruttoinlandsprodukt entwickelt, dann taugt das nichts. Wir müssen stattdessen den qualitativen Fortschritt messen - also beispielsweise ökologische Faktoren oder die Bildungschancen von Kindern mitberücksichtigen.

Eine zunehmende Anzahl von Menschen hat das Gefühl, die EU nutzt ihnen nicht, sondern schadet ihnen sogar. Was sagen Sie denen?

Man muss unterscheiden zwischen denen, die begründete Ängste haben, und denen, die die Europäische Union zu einer Projektionsfläche für alles Schlechte machen. Die Verfehlungen liegen häufig auf nationaler Ebene, die dann allerdings auf andere Länder wirken. Die Sparpolitik des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble etwa hat weite Teile Südeuropas sozialpolitisch verwüstet und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe getrieben. Dass da Hoffnungslosigkeit und Wut entstehen, kann ich sehr gut verstehen. Diesen Menschen will ich sagen, dass Europa die einzige Antwort auf ihre Nöte sein kann. Wenn wir vernünftige Arbeits- und Lebensverhältnisse schaffen und den Klimawandel bekämpfen wollen, geht es nur, wenn wir als Europäer an einem Strang ziehen. Wir brauchen eine Politik der Hoffnung. Und die muss von uns Sozialdemokraten kommen.

Vor einem Jahr wurden Sie zum Vorsitzenden der S&D-Fraktion gewählt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Wir haben vor einem Jahr eine durchgreifende Reform unserer politischen Programme begonnen. Kompass unserer Politik sind die Nachhaltigkeitsziele 2030 der Vereinten Nationen. Wir wollen Wirtschaft, Umwelt und Soziales immer gemeinsam betrachten. Das heißt: Wir müssen sofort alles daransetzen, wenn wir unseren Planeten retten wollen, aber das darf nicht auf Kosten der Schwächsten gehen. Ich will ihnen ein Beispiel nennen: Die energetische Gebäudesanierung ist wichtig, aber wir müssen verhindern, dass damit die Mieten explodieren. Wir wollen eine progressive Politik aus einem Guss. Dafür haben wir ein Expertengremium aus der Breite der Gesellschaft ins Leben gerufen, das ein konkretes Programm mit mehr als 100 Vorschlägen hierfür entwickelt hat. Das Wahlprogramm der SPE spiegelt das wider.

S&D- und EVP-Fraktion könnten künftig keine Mehrheit mehr im Parlament haben. Droht der EU ein Stillstand?

Wir müssen die Dinge neu aufstellen im Europaparlament und dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ginge es um die immer gleiche große Koalition zwischen S&D und EVP. Deshalb werden wir auch nach der Europawahl für unser Programm kämpfen, damit möglichst viele seiner Inhalte in den kommenden fünf Jahren in Europa durchgesetzt werden. Für die Verhandlungen nach der Wahl bedeutet das, dass wir uns unsere Partner danach aussuchen werden, dass die Menschen möglichst viel davon haben. Das bedeutet auch, dass das Europaparlament darüber entscheiden muss, wer künftig die EU-Kommission führt und welche Kommissare welche Kompetenzen haben.

Was motiviert Sie persönlich , sich für Europa einzusetzen?

Es mag pathetisch klingen, aber ich bin Europäer aus Leidenschaft. In der europäischen Politik wiederholen sich die Dinge selten. Europa ist ein Haus, das ständig erweitert, manchmal sogar neu gebaut wird. Die Grenze der eigenen Arbeit verschiebt sich fast täglich hin zu neuen Aufgaben. Das ist auch nach vielen Jahren in Brüssel extrem aufregend. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen alles dafür tun, um Europa zum Antreiber für mehr Menschlichkeit und Nachhaltigkeit in dieser Welt zu machen. Dafür brennen wir. Und ich bin einer davon.

 

 

 

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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