EuGH-Urteil zur Verteilung von Flüchtlingen: Ein guter Tag für Europa
Thomas Imo/photothek.net
Kommentar
Gerichtliche Entscheidungen dauern häufig länger. Deshalb kann sich heute kaum noch jemand daran erinnern, was der Europäische Rat – also die Zusammenkunft der Innenminister der EU-Länder – am 22. September 2015 beschlossen hat. Um die Mittelmeer-Anrainer Griechenland und Italien zu entlasten, sollten 120.000 Flüchtlinge von hier auf die übrigen Staaten der EU verteilt werden. Es war eine Frage europäischer Solidarität, da naturgemäß mehr Flüchtlinge übers Mittelmeer kommen als über die Ostsee.
EuGH: Verteilung der Flüchtlinge war rechtens
Deutschland sollte nach dem Beschluss 17.063 Menschen aufnehmen, Frankreich 12.962 und Spanien 8113. Ungarn wurden 1294 Flüchtlinge zugeteilt, der Slowakei 902. Neben den beiden Staaten stimmten Tschechien und Rumänien gegen den Beschluss. Finnland enthielt sich. Da nach Artikel 78 des Vertrags von Lissabon eine Einstimmigkeit in diesem Fall nicht notwendig war, wurden sie überstimmt. Das ist Demokratie.
Tschechien und Rumänien akzeptierten, Ungarn und die Slowakei zogen vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hat nun entschieden, dass die Verteilung der Flüchtlinge ein geeignetes Mittel gewesen sei, Griechenland und Italien zu entlasten. Der Vertrag von Lissabon ermächtige die Organe der EU, „sämtliche vorläufigen Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um wirksam und rasch auf eine durch den plötzlichen Zustrom von Vertriebenen geprägte Notlage zu reagieren“.
Rosinenpickerei kann sich die EU nicht leisten
Damit urteilen die EuGH-Richter ganz im europäischen Geist. Sie unterstreichen, dass Solidarität in Europa keine Einbahnstraße ist. Wer tagtäglich vom zollfreien europäischen Markt und der Reisefreiheit innerhalb der EU profitiert, vor allem aber Jahr für Jahr Milliardenüberweisungen aus Brüssel annimmt, muss im Gegenzug auch für seine Partner einstehen, wenn diese in eine Notsituation geraten. „Rosinenpickerei“, wie SPD-Chef Martin Schulz es nennt, kann sich die Europäische Union nicht leisten.
Ungarn und die Slowakei müssen nun liefern. Die ersten Signale aus Bratislava stimmen dabei zuversichtlicher als die aus Budapest. Schließlich ist das Urteil der Luxemburger Richter auch ein deutliches Signal an den ungarischen Regierungschef Victor Orban, der die Flüchtlingsfrage zur innenpolitischen Profilierung missbraucht. Auch deshalb ist dies ein guter Tag für Europa.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.