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EuGH-Urteil: In ganz Europa muss Arbeitszeit erfasst werden

Arbeitszeit muss künftig in ganz Europa verlässlich dokumentiert werden. Nur so sei es möglich, gesunde und sichere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, entschied am Dienstag der Europäischen Gerichtshof.
von Vera Rosigkeit · 14. Mai 2019

Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, Firmen zu verpflichten, die Arbeitszeiterfassung ihrer Beschäftigten zu erfassen, wird in erster Linie die Position von Arbeitnehmern in Europa gestärkt. „Die Dokumentation der Arbeitszeit ist wichtig, um Verstöße gegen die wöchentlichen Ruhezeiten und täglichen Höchstarbeitszeiten aufzudecken“, erklärt am Dienstag der sozialpolitische Sprecher der SPD im Europa-Parlament, Michael Detjen.

EuGH gibt Gewerkschaft Recht

Im konkreten Fall stritt der größste spanische Gewerkschaftsdachverband CCOO mit der spanischen Niederlassung der Deutschen Bank über die Einführung einer generellen Arbeitszeiterfassung. Der Nationale Gerichtshof Spaniens legte den Fall dem EuGH vor. Der prüfte die EU-Arbeitszeit-Richtlinie von 2003. Diese sieht eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden (inklusive Überstunden) vor, sowie eine tägliche Mindestruhezeit von elf Stunden und eine wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden am Stück. Von einer ausdrücklichen Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit ist darin zwar nicht die Rede, laut EuGH ist die Richtlinie aber so auszulegen, dass eine derartige Pflicht besteht.

Der EuGH nahm dabei auf die EU-Grundrechte-Charta Bezug. Danach haben alle Arbeitnehmer das „Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“. Dieses Recht wäre gefährdet, wenn die Arbeitnehmer selbst beweisen müssten, wie lange sie gearbeitet haben. Da Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis die „schwächere“ Vertragspartei sei, bestehe die Gefahr, dass sie ihre Rechte nicht einfordern könnten oder sich dies nicht trauten.

Arbeitszeiterfassung wird Pflicht

Die EU-Richter gaben der Gewerkschaft Recht. Ab sofort müssen die EU-Mitgliedsstaaten die nationalen Arbeitgeber dazu verpflichten, ein System zur täglichen Arbeitszeiterfassung einzurichten. Das Urteil hat auch Auswirkungen auf die Arbeitszeitregelung in Deutschland. Bisher sind deutsche Arbeitgeber lediglich dazu verpflichtet, Überstunden zu erfassen. Für den EuGH reicht das aber nicht aus. Vielmehr müsse die gesamte Arbeitszeit aufgezeichnet werden. Nur so sei effektiv nachweisbar, welche Zeiten als Überstunden zu bezahlen sind. In Deutschland besteht derzeit für rund ein Fünftel aller Beschäftigungsverhältnisse keine Arbeitszeiterfassung.

EU-Abgeordneter Detjen: Schutzrechte von Arbeitnehmern ausbauen

„Insbesondere für Beschäftigte in Branchen, in denen besonders flexibel gearbeitet wird, eine Interessenvertretung fehlt und daher häufig Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht eingehalten werden, ist dieses Urteil eine besonders positive Nachricht“, betont der Europa-Abgeordnete Detjen. Mit Blick auf die anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt sei es jetzt wichtiger denn je, „die Schutzrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern künftig stärker auszubauen“, fügt er hinzu und erteilt weiteren Öffnungen im Arbeitszeitrecht eine Absage.

Flexible Arbeitszeiten, dort wo sie von beiden Seiten gewünscht und vertraglich festgehalten werden, müssten darunter nicht leiden, sagt Detjen. Statt wie früher mit der Stechuhr könne man heute einfach mit dem Smartphone und der App die Arbeitszeit dokumentieren. „Am Ende wird die Dokumentationspflicht das Vertrauen in das System der flexiblen Arbeitszeit erhöhen und somit zu einer größeren Akzeptanz führen.“

Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi begrüßt das Urteil: „Endlich ist jetzt richterlich festegestellt, was normaler Menschenverstand uns schon lange gesagt hat: kein Arbeitsschutz, keine gerechten Löhne ohne ordentliche Arbeitszeiterfassung. Danke EuGH!“, schreibt sie auf „Twitter“.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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