EU und Flüchtlinge: Innenminister schieben Lösung weiter auf
Der konservative Bundesinnenminister Thomas de Maizière war ein bisschen vorschnell. Noch vor dem Ende des Sondertreffens mit den EU-Kollegen trat de Maizière mit seinem französischen Pendant Bernard Cazeneuve vor die Presse und verkündete eine Lösung. 160 000 Flüchtlinge sollten auf die beteiligten EU-Staaten verteilt werden, kündigte der deutsche Minister an und versuchte das als Erfolg zu verkaufen. 160 000 Schutzsuchende – umgerechnet bedeutet das die Zahl der Flüchtlinge, die zurzeit an vier Wochenenden in München stranden. Schon das also war bescheiden für den großen Anspruch der EU als Friedensprojekt.
Aber es kam noch schlimmer. Nach weiteren stundenlangen Beratungen verzichteten die Innenminister auf einen formalen Beschluss und beugten sich dem Widerstand der osteuropäischen Staaten Ungarn, Polen, Lettland, Tschechien, Slowakei und Rumänien. Man habe die Solidarität der anderen überschätzt, gestand de Maizière kleinlaut. Am 8. Oktober wollen die Minister nun entscheiden. Europa vertagt sich. Wieder einmal.
Europa zerbröselt und Merkel schaut zu
Das Treffen von Brüssel belegt das Scheitern der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik. Die vergangenen Tage waren ohnehin dramatisch genug. Erst riegelte de Maizière am Sonntag die deutsche Grenze zu Österreich ab. Tags darauf folgten Österreich, die Slowakei und die Niederlande mit entsprechenden Maßnahmen. Europa, das so stolz war, auf sein neues Raumgefühl und das passkontrollfreie Reisen, kehrt zurück zur Kleinstaaterei.
Schengen heißt der Vertrag nach dem luxemburgischen Grenzort, in dem sich Europa 1985 zum freien Reisen bekannte. Diese Errungenschaft ist nun dahin. Auch als Folge der verfehlten Politik von Kanzlerin Angela Merkel. Vor Schengen hatte Merkel schon das europäische Asylsystem ausgehebelt. Ihre Zusage, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien nicht mehr in andere EU-Staaten zurückzuschicken (wie es europarechtlich möglich ist), war menschlich nobel – in der politischen Folgewirkung aber fatal. Das gemeinsame europäische Asylrecht (Experten sprechen von Dublin-System) mit seinem Grundsatz, ein Asylantrag ist im ersten sicheren EU-Land zu stellen, das ein Flüchtling erreicht, war damit dahin. Erst Dublin, nun Schengen, Europa zerbröselt und Merkel schaut hilflos zu.
Von nun an wird zurückgeschoben
In der Griechenland-Krise verteuerte das Zaudern der Kanzlerin lediglich die Rettungskosten. In der Flüchtlingskrise aber hilft Zaudern nicht weiter. In der Griechenland-Krise konnte Merkel allein entscheiden, in der Flüchtlingspolitik führten ihre Alleingänge ins Chaos. Mama Merkel irrlichtert. Die Flüchtlingspolitik wird nun zu einer echten Belastungsprobe für Europa. Ost gegen West, Nord gegen Süd. Es wirken gewaltige Kräfte. Und Errungenschaften wie das kontrollfreie Reisen und ein Recht auf Asyl geraten ins Wanken.
Ohne eine feste Quote zur Verteilung der Flüchtlinge wird die Europäische Union das Problem nicht lösen. Darüber aber wurde am Montagabend im Kreis der Innenminister nicht mal ansatzweise beraten. Es gilt das alte Prinzip: Jeder kämpft für sich alleine. Wohin das führt, lässt sich in Ungarn beobachten. Das Land hat seit Dienstag seine Grenzen zu Serbien vollständig abgeriegelt. Seit Dienstag drohen Flüchtlingen, die nicht über einen Grenzübergang nach Griechenland einreisen, bis zu drei Jahre Haft. Von nun an wird zurückgeschoben. Im Namen der EU. Europa macht Flüchtlinge zu Illegalen. Das ist das Ergebnis von Merkels verfehlter Politik.
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ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.