EU-Sozialgipfel: SPD kämpft für verbindliche Regelungen
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In dieser Woche lädt die portugiesische Ratspräsidentschaft zum EU-Sozialgipfel nach Porto ein – dem ersten seit 2017. Das damalige Treffen im schwedischen Göteborg brachte eine gemeinsame Erklärung für mehr soziale Gerechtigkeit, gute Arbeit und Bildungschancen hervor. Gewährleisten sollte diese Vorhaben die Europäische Säule sozialer Rechte – ein politischer Kompass mit 20 Prinzipien, der unter dem Einwirken der S&D-Fraktion entstand.
In seiner Strategischen Agenda 2019-2024 betonte der Europäische Rat, dass nun die europäische Säule sozialer Rechte umgesetzt werden muss. Den Übergang von Prinzipien zu konkreter Politik beschreibt ein Aktionsplan, den die Europäische Kommission im März 2021 vorgelegt hat. Dieser sieht drei Kernziele für das Jahr 2030 vor; demnach sollen bis dahin mindestens 78 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren einen Arbeitsplatz haben, mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen und die Anzahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen sinken.
Gemeinsam für die Zukunft des sozialen Europas
Der Sozialgipfel bietet also die Chance, Gleichheit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit in der Europäischen Union sicherzustellen und auszubauen. Diese Chance haben auch Gewerkschaften erkannt und bringen sich im Vorfeld des Sozialgipfels ein, um eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer*innen an Unternehmensentscheidungen zu fordern. Geht es nach Gaby Bischoff, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten, so kommt der Aktionsplan mit Hinblick auf den bereits dreieinhalb Jahre zurückliegenden vorherigen Sozialgipfel mehr als spät.
„Wenn uns damals jemand gesagt hätte, dass wir bis 2021 warten müssen, bis es ein verbindliches Aktionsprogramm für die Säule gibt, und dann den Gipfel, hätte ich es wahrscheinlich nicht für möglich gehalten“, sagte sie in einem Pressegespräch zum kommenden Gipfel. Besonders kritisch sieht Bischoff, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder nicht anwesend sein wird.
Schon 2017 in Göteborg nahm die Kanzlerin nicht am Sozialgipfel teil – als Regierungschefin der größten Volkswirtschaft Europas sei dies kein gutes Signal. Mit Hinblick auf den Erfolg des kommenden Sozialgipfels sagt Bischoff: „Die Frage ist doch: Wird es am Ende des Tages eine wirkliche Verpflichtung der Mitgliedsstaaten bezüglich der Kernziele geben oder wird man seitens der Mitgliedsstaaten die Vorhaben zwar bekräftigen, aber keine verbindlichen Abmachungen eingehen? Letzteres wäre nichts weiter als eine Inszenierung.“
Bullmann: Politik für die Menschen
Der Europabeauftragte des SPD-Parteivorstands, Udo Bullmann, zeigt sich dennoch optimistisch: „Die Corona-Pandemie und die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Europa in schweren Zeiten zusammensteht und in der Lage ist, seine Kräfte zu bündeln. Deutschland ist in der aktuellen Krise einen anderen Weg gegangen als noch vor 10 Jahren: Statt wie in der Vergangenheit die Krise durch eine konservative Sparpolitik zu verschärfen, hat die SPD mit einer ganzen Reihe von Hilfsprogrammen eine schnelle und schlagkräftige europäische Antwort organisiert." Es sei essenziell, an den aktuellen Herausforderungen zu wachsen und das europäische Einigungswerk stetig weiterzuentwickeln müssen, um es zu erhalten.
Auch betont Bullmann, dass die Transformationsprozesse der Digitalisierung und der ökologischen Neuausrichtung nur möglich seien, wenn es gelinge, die Arbeits- und Lebensbedingungen aller Europäer*innen dauerhaft zu verbessern. „Es sind die Menschen selbst, die den Wandel unserer Zeit erleben und tragen müssen. Für diese Menschen machen wir Politik und deshalb werden wir die Europäische Säule sozialer Rechte in den kommenden Jahren konsequent mit Leben und Teilhabe füllen“, sagt Bullmann
Uneinigkeit beim Thema Mindestlohn
Nicht überall ist man sich indes einig. Spannend könnte es etwa bei der Umsetzung der geplanten Mindestlohninitiative werden. Im Mittelpunkt dieser steht die Festlegung transparenter Kriterien für die Angemessenheit von Mindestlöhnen, die in den Mitgliedsländern präzisiert werden müssen. Ein Thema, das die SPD bereits im Europawahlkampf 2019 forciert hatte. Die EU-Kommission schlägt nun vor, dass alle Mitgliedsstaaten, in denen weniger als 70 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben arbeiten, Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen entwickeln sollen. Ausdrücklich hervorgehoben wird auch die Möglichkeit, öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die nach Tarif zahlen. Das betrifft auch Deutschland, wo nur rund die Hälfte der Beschäftigten von einem Tarifvertrag profitiert.
Der Richtlinienentwurf stößt im Vorfeld des Sozialgipfels auf Widerstand, sodass seine Verabschiedung keineswegs gesichert ist. Während der Europäische Gewerkschaftsbund trotz Kritik mehrheitlich den Entwurf unterstützt, lehnen die europäischen Arbeitgeberverbände die gesamte Initiative ab. Für Bischoff ist der Mindestlohn jedoch ein essenzielles Thema beim Gipfel: „20 Millionen Menschen könnten davon direkt profitieren und spüren, wie Europapolitik einen direkten positiven Einfluss auf ihren Geldbeutel genommen hat.“
Wie wichtig dies als Signal für ein effektives, handlungsfähiges Europa wäre, zeigt eine Eurobarometer-Umfrage vom 1. März 2021. In dieser bezeichnen 71 Prozent der befragten EU-Bürger*innen den Mangel an Sozialrechten in der EU als ernstes Problem.