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EU-Rechtsstaatsverfahren: „Die meisten Ungarn glauben Orbán nicht“

Balázs Bárány ist Außensekretär der ungarischen sozialistischen Partei MSZP und Mitglied des Parteivorstands. Im Interview mit dem „vorwärts“ spricht er über das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und welche innenpolitischen Hoffnungen er damit verbindet.
von Jonas Jordan · 17. September 2018
Ungarns Premier Viktor Orbán
Ungarns Premier Viktor Orbán

Am Mittwoch hat das EU-Parlament mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit dafür gestimmt, ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Wie beurteilen Sie diesen Beschluss?

Der Premier Viktor Orbán hat gesagt, die EU attackiere Ungarn. Aus unserer Sicht ist das Gegenteil der Fall: Dieser Beschluss schützt Ungarn vor der Politik Viktor Orbáns.

Hat Sie der Beschluss überrascht? Bis zuletzt schien unklar, ob die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wird.

Wir haben damit gerechnet, dass es knapp wird, aber wir hatten die Hoffnung, dass es klappt. Bis zur letzten Minute war es offen. Es haben unerwartet viele EVP-Mitglieder dafür gestimmt. Auch dort gab es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das war aus meiner Sicht das wichtigste Element. Denn dass Grüne, Linke und Sozialdemokraten gegen Orbán stimmen, war zu erwarten. Dass sich seine eigene Parteifamilie gegen ihn ausspricht, war eine Überraschung.

Orbán sprach anschließend von „Schande“ und „Lügen“ ­– wie wurde der Beschluss allgemein in der ungarischen Bevölkerung aufgenommen?

Die meisten Ungarn glauben Orbán nicht. Meine persönlichen Erfahrungen sind bisher, dass viele den Beschluss positiv aufgefasst haben. In einem TV-Kanal war auch in Umfragen eine Mehrheit dafür.

2.000 Menschen haben laut Agenturangaben am Wochenende in Budapest gegen Orbáns Politik demonstriert. Die MSZP hatte gemeinsam mit den weiteren Oppositionsparteien DK (Demokratische Koalition) und PM (Dialog für Ungarn) dazu aufgerufen. Waren Sie zufrieden mit der Beteiligung?

Wir kalkulieren mit mehr als 5.000 Menschen. Klar wären zwei Millionen Menschen besser, aber wir hatten in den vergangenen acht Jahren große Probleme, für Demonstrationen von Parteien zu mobilisieren. Diese waren meistens eher schwach besucht. Deswegen sind mehr als 5.000 Menschen ein tolles Zeichen.

Welche innenpolitischen Hoffnungen verbinden Sie mit dem Beschluss?

Wahrscheinlich wird Orbán seine Politik nicht ändern. Er wird weitermachen mit dem Krieg, den er gegen die Europäische Union und die europäischen Werte führt. Allerdings hat der Beschluss vielen Ungarn die Augen dafür geöffnet, dass die von uns als Opposition geäußerte Kritik wirklich wahr ist. Wir werden nun in ganz Ungarn verbreiten, dass Orbán die Demokratie in unserem Land gefährdet.

Die MSZP hatte zu ihren Spitzenzeiten mehr als 200 Sitze im Parlament. Inzwischen sind es nur noch 15. Mit welcher Strategie wollen Sie die Partei wieder stärken?

Bei der vergangenen Wahl haben wir heftig verloren. Gegen Orbáns Zwei-Drittel-Mehrheit ist es sehr schwer für uns. Wir können Reden halten, Ideen einbringen, aber letztlich verläuft alles im Sand. Die nächste Wahl ist noch vier Jahre weg. Deswegen werde ich keine Prognose abgeben, wie viele Sitze wir dann haben werden. Grundsätzlich muss die ganze Opposition ihr Verhalten überdenken. Wir müssen stärker zusammenarbeiten. Im Herbst 2019 sind in Ungarn Regional- und Kommunalwahlen. Diese werden die Richtung zeigen. Dafür müssen wir Bündnisse schmieden, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob alle Oppositionsparteien wirklich gegen Orbán sind.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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