EU-Ratspräsidentschaft: Startschuss für neuen Zusammenhalt und Bürgernähe
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Gesprochen wurde schon vor der Corona-Pandemie über die Probleme in Europa, aber die Entwicklungen in der Krise geben der Debatte über Grundwerte, Rechtsstaatlichkeit womöglich neuen Auftrieb. Das zumindest ist die Hoffnung unter anderem von Europastaatssekretär Michael Roth und der Europaparlamentarierin Gaby Bischoff.
Europa kämpft noch mit der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, doch die Union hat auch an anderer Stelle Probleme – und das schon, bevor das Virus das Leben auf dem Kontinent auf den Kopf stellte. Beispiele dafür gaben jüngst vor allem Polen und Ungarn: In Polen wollte die national-konservative Regierungspartei PiS mit einer Reform die Neutralität der Justiz unterlaufen, in Ungarn baute Regierungschef Viktor Orban suksessive seine Macht auf Kosten der Demokratie aus.
Entwicklungen, die während der Corona-Krise sogar noch verstärkt wurden: In Polen wollte die PiS die für Mai geplanten Wahlen gerne als reine Briefwahl mitten in der Pandemie abhalten. Ein Vorschlag, der die Opposition auf die Barrikaden rief – sie kritisierten, dass in dieser Zeit kein Wahlkampf möglich war. Die Opposition setzte sich durch, in den kommenden Tagen soll in Polen nun gewählt werden – per Brief oder im Wahllokal. Die von Europa kritisierte Justizreform ist hingegen noch nicht vom Tisch, kritisiert auch Katharina Barley im „vorwärts“.
Orban in Ungarn hingegen war erfolgreich mit seiner Strategie: Er nutzte die Pandemie, um den Ausnahmezustand auszurufen. Das Parlament stimmte zu – und sprach dem Regierungschef so nahezu uneingeschränkte Macht aus – auf unbestimmte Zeit. Dabei stand Orban schon vor der Pandemie unter scharfer Beobachtung von Brüssel, weil in dem Land Grundrechte eingeschränkt wurden und sich das Land – wie auch Polen – vehement gegen die Aufnahme von Geflüchteten sperrt.
„Rechtsstaatscheck“ als neues EU-Instrument
Passen diese Entwicklungen zu den Grundwerten, auf die sich die EU-Gründungsmitglieder ursprünglich einst verständigt hatten? Das ist die Frage, die mit einem „Rechtsstaats-Check“ beantwortet werden soll. Wie dieser Check ablaufen soll, erklärte Michael Roth nun kurz vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: Den Überlegungen zufolge soll im Auftrag der EU-Kommission die Rechtsstaatlichkeit eines Mietgliedsstaates unter die Lupe genommen werden können. Der Bericht soll dann dem Rat zur Beurteilung vorgelegt werden. Doch Bericht und Debatte alleine reichen aus Sicht des Sozialdemokraten nicht aus. „Wer sich nicht an die Regeln hält“, so Roth, müsse auch finanzielle Einschränkungen zu spüren bekommen. Wer bei dem Check durchfällt, muss also auf Hilfszahlungen und ähnliches verzichten, so die Vorstellung.
Dem stimmt in der Unterhaltung am Dienstagabend auch Gaby Bischoff zu: Der Diskussion über demokratische Werte und Rechtsstaatlichkeit müsse ein Mechanismus folgen, um weitere Schritte einzuleiten. „Europa ist eben mehr als nur ein Binnenmarkt“, verwies sie auf die EU-Grundwerte. Enstprechend solle es auch klare Signale geben, wenn diese Werte verletzt werden.
Europa, das kaputte Haus
Dass Europa in den vergangenen Wochen und Monaten weiter auseinandergedriftet ist, bereitet den beiden überzeugten Europäer*innen Roth und Bischoff Sorgen – auch unabhängig von den Diskussionen.
„Europa ist wie ein Haus“, veranschaulichte Bischoff ihre Vorstellung von der EU, „aber das Haus ist ein bisschen in die Jahre gekommen.“ Die Erben hätten sich nicht gut um den Zustand gekümmert, jetzt müsse renoviert werden. Im 70. Jahr der Schuman-Erklärung, die als Gründungsrede für die Europäische Union angesehen werden kann, sei das Haus Europa aber auch nicht „abbruchreif“, ergänzte Roth. Einfacher mache Corona die Situation aber sicherlich nicht. In der „grand old lady“ stecke aber noch ganz viel Potential drin.
Gleichzeitig bremste er aber auch die Erwartungen: In den kommenden sechs Monaten könne Deutschland sicherlich Impulse geben, ist Roth überzeugt, „aber wir regieren die EU auch nicht.“ Gaby Bischoff hofft neben dem „Rechtsstaatlichkeits-Check“ auch auf neuen Antrieb für die EU-Konferenz der Bürger, die eigentlich im Mai geplant war: Innerhalb der EU sollten sich Bürger*innen treffen und zu europäischen Themen diskutieren, Erwartungen und Ziele formulieren. Die Treffen vor Ort wurden abgesagt, ein neuer Termin steht noch nicht.
EU-Konferenz noch in diesem Jahr
Damit diese Idee 70 Jahre nach der berühmten Rede des französischen Außenministers Robert Schuman nicht im Sande verläuft, pocht Bischoff auf ein fertiges Konzept bis zur Sommerpause. Ein Konzept, dass von allen EU-Institutionen – also Parlament, Rat und Kommission – auch getragen wird, damit im Herbst die Bürgerforen tatsächlich stattfinden können und nicht ins nächste Jahr verschoben werden müssen. „Wir müssen im Juli dann sofort in die Vollen gehen“, sagte sie mit Blick auf den Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Deutschland könne dann beweisen, dass es ein guter Vermittler sein kann.