EU-Lieferkettengesetz: Wie es die Welt ein Stück gerechter machen kann
Die EU-Kommission hat erstmals einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz vorgelegt. Sind Sie zufrieden?
Es ist gut, dass die EU-Kommission endlich ihren Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz gemacht hat. Der Vorschlag enthält gute Ansätze, bleibt aber in vielen Bereichen hinter dem Möglichen zurück. Damit wir mit dem Vorschlag zufrieden sein können, müssen wir den Anwendungsbereich auf alle Unternehmen ausdehnen, die relevanten Einfluss in kritischen Bereichen des Menschenrechts-, Umwelt- und Klimaschutzes haben. Außerdem wollen wir die zivilrechtliche Haftung verschärfen, damit die Richtlinie wirklichen Biss bekommt. Derzeit enthält sie noch Haftungslücken. Dazu brauchen wir für Haftungsfragen eine Beweislastumkehr zugunsten der Geschädigten. Erfreulich ist, dass die EU-Kommission Vorständen von Konzernen die Pflicht auferlegt, sich aktiv um die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette zu kümmern. Allerdings sind die sogenannten Directors' Duties nicht sanktionsbehaftet, also unverbindlich. Auch das will ich ändern.
In Deutschland gibt es bereits ein Lieferkettengesetz. Warum braucht es zusätzlich diese EU-weite Regelung?
Erstens weil Sorgfaltspflichtverletzungen nicht nur in Deutschland, sondern in allen Mitgliedsländern und weltweit auftreten können. Zweitens gibt es in einigen Mitgliedsländern schon Regelungen. Diese sind aber sehr unterschiedlich und müssen vereinheitlicht werden, damit Unternehmen Rechtssicherheit bekommen. Und drittens gibt es uns die Möglichkeit, die Schwachstellen, die die Union in das deutsche Lieferkettengesetzt hineinverhandelt hat, auszubessern.
Wir brauchen meines Erachtens Sorgfaltspflichten für die gesamte Lieferkette. Zudem können wir den Anwendungsbereich noch einmal nachbessern. Ganz wichtig ist für mich auch der Aspekt der zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen gegen Sorgfaltspflichtverletzungen. In Deutschland sind bisher Verwaltungs-Sanktionen vorgesehen, auch wenn diese empfindlich sein können. Schäden an Klima und Umwelt sollten wir, anders als im deutschen Gesetz, einbeziehen. Das ist wichtig, da diese Schäden uns alle betreffen. Bereits im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung festgelegt, das deutsche Gesetz „gegebenenfalls (zu) verbesser(n)“.
Was ändert sich eigentlich dadurch für die betroffenen Unternehmen?
Einige deutsche Unternehmen werden dadurch neu unter die Regelung fallen. Zudem müssen sie weitergehendere Verpflichtungen erfüllen. Für die Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden wird die Verpflichtung ab zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie greifen – das könnte Mitte 2025 sein. Für die Unternehmen ab 250 Mitarbeitende drei Jahre später.
Generell müssen alle erfassten Unternehmen folgende Pflichten erfüllen: Sie müssen die Sorgfaltspflichten in ihre allgemeine Geschäftsstrategie aufnehmen und auftretende oder potentielle Schäden identifizieren. In der Praxis müssen sie die identifizierten Gefahren abstellen oder minimieren und auftretende Schäden abstellen und ihre Auswirkungen abmildern, zum Beispiel durch die Zahlung von Schadensersatz. Begleitend müssen sie dafür einen Beschwerdemechanismus einrichten, die Umsetzung ihrer Sorgfalts-Strategie überwachen und öffentlich dazu kommunizieren.
Und für die Verbraucher*innen? Werden Kaffee und Schokolade künftig teurer?
In Wirtschaftsbereichen, die vor allem auf wenig verarbeitete Rohstoffe zurückgreifen, wie z.B. Nahrungsmittel, werden möglicherweise etwas höhere Kosten entstehen als bei Produkten, die in der EU noch stark weiterverarbeitet werden. Aber auch hier werden die Kosten nicht explodieren. Mögliche Mehrkosten durch höhere Löhne oder stärkere Umweltanforderungen kommen zudem direkt den betroffenen Arbeitnehmer*innen zugute – Hungerlöhne zu zahlen und Raubbau an Natur und Umwelt zu betreiben muss ein Ende haben, da die versteckten Kosten diejenigen tragen, die eh weniger haben. Wir müssen uns aber immer die Frage stellen, ob wir es hinnehmen wollen, dass für unseren Konsum Menschen ausgebeutet werden und leiden müssen oder die Umwelt extrem verschmutzt wird. Im Übrigen unterstützen mehr als 75 Prozent der Befragten einer repräsentativen Umfrage, ein Lieferkettengesetz.
Manche Unternehmen befürchten Wettbewerbsnachteile. Was entgegnen Sie diesen?
Das Risiko eines nicht funktionierenden Binnenmarktes wäre ohne Regelung viel größer. Nicht umsonst gab es gerade aus der Wirtschaft Druck für ein europaweites Gesetz, das gleiche Regeln vorschreibt. Wir haben nationale Regeln in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und weiteren Mitgliedstaaten. Diese müssen wir harmonisieren und auch die weiteren Staaten mit ins Boot holen, um unfairen Wettbewerb zu vermeiden.
Zudem achten bereits heute viele Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten durch Eigeninitiative. Sie zeigen, dass das geht und weisen zurecht darauf hin, dass wir das von allen Unternehmen verlangen können, die Geld in riskanten Bereichen verdienen. Zudem wird das EU-Lieferkettengesetz auch für nicht in der EU ansässige Unternehmen gelten und damit für ein level playing field sorgen.
Sie haben bemängelt, dass der Vorschlag keinen Bezug auf die Pariser Klimaziele nimmt. Warum wäre das wichtig?
Große Unternehmen emittieren einen großen Teil der globalen Treibhausgase, das zeigt zum Beispiel der Carbon Majors Report. Vorstände von großen Unternehmen haben viel mehr Möglichkeiten als Konsument*innen, diesen Ausstoß zu reduzieren. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass das Einhalten des Pariser Klimaabkommens auch für Unternehmen verbindlich werden muss und möchte die Idee der Kommission stärken, dass die Gehaltszahlungen der Top-Manager auch davon abhängen, ob dieses Ziel erreicht wird.
Abschließend gefragt: Wird die Welt durch ein EU-Lieferkettengesetz fairer?
Ja, aber nur, wenn wir für die Ausgestaltung einfacher und durchsetzbarer Regeln für dessen Umsetzung sorgen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo