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EU-Kommissionspräsidentin: „Das schwächt Ursula von der Leyen enorm.“

Am Mittwoch wird Ursula von der Leyen ihre „Rede zur Lage der Union“ halten, die letzte vor der Europawahl im kommenden Jahr. Jens Geier, Chef der SPD-Abgeordneten im Europa-Parlament, hat klare Erwartungen an die Kommissionspräsidentin.
von Kai Doering · 12. September 2023
Ursula Ohneland? Jens Geier sieht den Rückhalt von Ursula von der Leyen in den eigenen Reihen schwinden.
Ursula Ohneland? Jens Geier sieht den Rückhalt von Ursula von der Leyen in den eigenen Reihen schwinden.

Am Mittwoch wird EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen ihre diesjährige „Rede zur Lage der Union“ halten. Die letzte stand stark unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine. Was erwarten Sie von der diesjährigen Rede?

Unsere Erwartungen als sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament haben wir in einem mehrseitigen Brief an Ursula von der Leyen formuliert. Er wird unser Gradmesser für ihre Rede sein. Aus unserer Sicht muss sie sich zu den Vorgängen rund um die Abstimmung über das Renaturierungsgesetz im Juni verhalten. Die EVP-Fraktion mit Manfred Weber hatte massiv gegen die Pläne der EU-Kommission Stimmung gemacht und dabei auch mit den Rechtsextremen paktiert. Das war ein Frontal-Angriff auf den „Green Deal“, den Ursula von der Leyen selbst als „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ bezeichnet hat. Jetzt muss sie dieses Projekt vor allem vor der christdemokratischen Fraktion retten!

Auch in sozialen Fragen erwarten wir klare Aussagen. Wir sind zwar beim europäischen Mindestlohn und auch der Tarifbindung ein gutes Stück vorangekommen, aber es muss noch mehr getan werden, um ein soziales Europa zu schaffen, in das die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen haben. Zum Beispiel sollte die für Deutschland geplante Kindergrundsicherung eine europäische Flankierung bekommen, damit sie in allen europäischen Ländern umgesetzt wird.

Es kann aber auch einfach eine Bilanz-Rede werden, in der sich Ursula von der Leyen selbst auf die Schulter klopft. Das wäre uns zu wenig.

Die Rede ist voraussichtlich die letzte große Rede von Ursula von der Leyen vor der Europawahl im kommenden Jahr. Erwarten Sie auch dass sie sich darin für eine weitere Amtszeit als Kommissionspräsidentin bewirbt?

Das ist durchaus möglich. Bisher hat sich Ursula von der Leyen noch nicht dazu geäußert, ob sie Spitzenkandidatin der EVP im kommenden Jahr werden möchte. Sollte sie am Mittwoch ihre Bereitschaft erklären, würde sie damit natürlich die Nachrichten bestimmen.

Zuletzt haben drei Kommissar*innen die EU-Kommission verlassen, zwei weitere stehen kurz vor dem Absprung. Zerfällt die Kommission ein dreiviertel Jahr vor der Wahl?

Dass ihr in letzter Zeit die Kommissarinnen und Kommissare weglaufen, ist nicht das Verschulden von Ursula von der Leyen, sondern hat jeweils innenpolitische Gründe. Es macht die Kommission aber nicht stärker. Zumindest werden die neuen Mitglieder der Kommission keine großen Initiativen mehr starten.

Realistischerweise müssen alle Gesetzgebungsverfahren im April kommenden Jahres abgeschlossen sein. Sollte die Kommission aber schon jetzt den Stillstand der Rechtssetzung verkünden, wäre das klare Arbeitsverweigerung, die wir nicht durchgehen lassen werden.

Ein Problem vor allem in Deutschland ist die lahmende Wirtschaft. Die Ministerpräsident*innen haben sich vergangene Woche in Brüssel einstimmig für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Erwarten Sie da noch Impulse von Ursula von der Leyen?

Nein. Diese Möglichkeit hat Ursula von der Leyen verpasst. Im Frühjahr gab es einen Vorschlag für ein europäisches Strommarktdesign, zu dem das Europaparlament seinen Standpunkt festgelegt hat. Im Gegensatz dazu hat von der Leyen die eigenen Ankündigungen, z.B. die Trennung von Gas- und Strompreis nicht umgesetzt. Diese Chance ist also vertan. Mehr als nationale Beihilfemodelle, etwa ein deutscher Industriestrompreis, sind deshalb nicht möglich.

Sie haben das Verhalten von EVP-Chef Manfred Weber rund um das Renaturierungsgesetz schon angesprochen. Wie geschwächt ist Ursula von der Leyen zum Ende ihrer Amtszeit?

In der Geschichte Großbritanniens gibt es ja den König Johann Ohneland. An ihn erinnert mich Ursula von der Leyen im Moment häufiger. Mit ihrem Verhalten der letzten Monate hat die christdemokratische Fraktion ihrer eigenen Kommissionsvorsitzenden die generelle Unterstützung entzogen. Das schwächt Ursula von der Leyen enorm.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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