EU-Kommissionspräsident Juncker stellt Flüchtlingsplan vor
Es war kein einfacher Tag für Jean-Claude Juncker. Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, dankte dem Chef der EU-Kommission dafür in diesen „schwierigen Zeiten“ geredet zu haben und sprach Juncker sein Beileid aus. Seine Mutter war am Sonntag verstorben. Sein Vater liegt schwerkrank in einer Klinik. Das Private gehört eigentlich nicht in die Politik. Aber in diesem Fall ist es anders, weil Juncker die Geschichte selbst gern erzählt. Und die geht so: Sein Vater habe im Garten gearbeitet und der junge Juncker hatte sich über europäische Entscheidungsprozesse beschwert. „Früher hätten sie Konflikte in Europa damit gelöst“, sagte der Vater, blickte auf seinen Spaten und schaute den Sohn ernst an.
EU-Kommission in der Kritik
Dieses Europa ist also auch ein Vermächtnis. Wenigstens begreift es Jean-Claude Juncker so. „Unsere Union ist in keiner guten Lage“, sagte Juncker am Mittwoch im Straßburger Europaparlament. Juncker sprach zur „Lage der Union“ – eine Grundsatzrede. Es ging um die Eurokrise – „Der Grexit war nie eine Option“, stellte er Richtung Finanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, klar – und zum Klima – „Wir wollen, dass die Klimakonferenz im November in Paris ein Erfolg wird“, versicherte er Frankreichs sozialistischem Präsidenten Francois Hollande.
Im Wesentlichen aber sprach Juncker zur Flüchtlingspolitik. Auch politisch ist die Lage nämlich nicht einfach für Juncker. Seine Kommission ist in Kritik geraten, während sich in Europa die Flüchtlinge auf den Weg machten, war von seiner Kommission wenig zu hören. Zuletzt hatte der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer gegen Brüssel gewettert. Juncker aber stellte klar: Seine Kommission habe auch „in den Ferien gearbeitet“.
Mitgliedstaaten blockieren bei Quote
Deutlich zu vernehmen war sie nicht. Allen voran von Junckers konservativer Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. Der Kommissionspräsident hat die Flüchtlingspolitik deshalb zur Chefsache erklärt. Am Mittwoch stellte er seine Grundsätze vor: 120.000 Flüchtlinge will die EU-Kommission auf die EU-Staaten verteilen. Per festem Verteilerschlüssel. Den lehnt der konservative britische Premierminister David Cameron ab und auch die Regierungschefs in Osteuropa sind skeptisch. Juncker aber schaute zurück auf Flüchtlingswellen in der europäischen Geschichte – auf Verfolgung und Flucht von Hugenotten, Juden und Sinti und Roma, er erinnerte die zögerlichen in Osteuropa an die Solidarität bei den Flüchtlingswellen nach dem Ungarn-Aufstand (1956) und dem Prager Frühling (1968) und stellte fest: „Asyl ist einer der wichtigsten europäischen Werte.“
Juncker hat aber ein Problem. Er ist abhängig von den Mitgliedstaaten. Die blockieren bei der Quote. Deshalb deutete Juncker auch ein Entgegenkommen an. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten soll auf die Länder des westlichen Balkan und der Türkei ausgeweitet werden. Politik ist ein Geben und Nehmen. Und mitunter rechtlich heikel. Asyl ist ein Individualrecht, es kann schwerlich per Herkunftsland abgeschafft werden. „Die Beitrittskandidaten auf dem westlichen Balkan müssen Grundrechte gewährleisten, sonst gehören sie nicht in die EU“, konterte Juncker die Kritik.
Auch einen anderen Kritiker nahm sich Juncker vor: Seehofer. In seinen zehn Tagen Urlaub habe er sich vier Tage mit Griechenland befasst und vier mit der Flüchtlingspolitik. Und dann kam der Konter. Juncker verwies auf den Vorschlag seiner Kommission „vom Mai“ 40.000 Flüchtlinge auf die EU-Staaten zu verteilen. Und es war klar, was er meinte: Denn die Staaten hatten sich nur auf die Aufnahme von 32.000 Schutzsuchenden verständigt. Juncker verwies zudem darauf, dass seine Kommission „vor dem Sommer“ 32 Vertragsverletzungen gegen die EU-Staaten eingeleitet hatte, weil diese EU-Standards im Asylrecht unterlaufen. „Weitere Vertragsverletzungsverfahren werden folgen“, kündigte Juncker an. Die Stimmung in den Mitgliedstaaten wird das nicht gerade verbessern.
Auch einem anderen Ansinnen mancher Mitgliedstaaten lehnte Juncker ab: das passkontrollfreie Reisen. „Meine Kommission wird am Schengen-System nichts ändern“, so Juncker. „Hinter jeder Zahl steht ein Mensch“, mahnte der der Kommissionspräsident. Er müht sich in der Flüchtlingspolitik um eine gesamteuropäische Lösung. Schließlich geht es um Menschen. Und um Europa. Und um ein Vermächtnis.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.