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EU-Gerichtshof verurteilt polnische Justizreform

Polens Disziplinarordnung für Richter verstößt gegen die EU-Rechtstaatlichkeit. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Für Katarina Barley, Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, „ein Stoppschild gegen den Rechtsstaatsabbau der PiS-Regierung“.
von Christian Rath · 15. Juli 2021

Seit 2015 regiert in Polen die nationalkonservative Partei PiS und versucht, die bis dahin unabhängige Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Eines der wichtigsten Instrumente ist die Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die 2017 eingerichtet wurde. Im Oktober 2019 hat die EU-Kommission wegen dieser Disziplinarkammer ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Der EuGH bestätigte nun die Kritik der EU-Kommission im vollen Umfang.

Keine Garantien für Unabhängigkeit

Der EuGH beanstandet zum einen, dass die Disziplinarkammer nicht genug Garantien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit biete. Grund dafür sei vor allem, dass die Mitglieder dieser Kammer vom Landesjustizrat KRS bestimmt werden, der seit 2017 auch unter Kontrolle der Regierungsmehrheit steht.

Der EuGH beanstandete zudem, dass auch der Inhalt von Gerichtsentscheidungen zu Disziplinarverfahren führen kann. Die Disziplinarkammer könne daher „zur politischen Kontrolle von Gerichtsentscheidungen oder zur Ausübung von Druck auf Richter eingesetzt werden“.

Mit diesem Urteil hat der EuGH erstmals ein Element der polnischen Justizreform ausdrücklich als Verstoß gegen EU-Recht beanstandet. Bisher hatte der EuGH nur Maßstäbe benannt und den (noch unabhängigen) polnischen Gerichten die Anwendung der Maßstäbe überlassen. Auf dieser Basis entschied das Oberste Gericht Polens im Dezember 2019 und im Januar 2020, dass die Disziplinarkammer kein unabhängiges Gericht ist - weder nach EU-Recht noch nach polnischem Recht.

EuGH könnte Zwangsgelder verhängen

Nach dem aktuellen EuGH-Urteil ist Polen nun verpflichtet, die Beanstandung abzustellen. Damit ist derzeit aber wohl nicht zu rechnen. Polens Justizminister Zbigniew Ziobro sagte, hinter dem EuGH-Urteil stehe „koloniales Denken“.

Um Polen zum Einlenken zu bewegen, müsste die EU-Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dabei könnte der EuGH - auch per Eilverfügung - hohe tägliche Zwangsgelder gegen Polen verhängen.

Der Streit um die Disziplinarkammer ist nur eine Facette der rechtsstaatlichen Kritik an Polen. Im Zuge der Justizreform hatte die PiS-Regierung bereits das polnische Verfassungsgericht auf Linie gebracht. Im Februar 2020 war zudem das so genannte Maulkorbgesetz in Kraft getreten, das es polnischen Gerichten verbietet, die richterliche Unabhängigkeit anderer polnischer Gerichte zu prüfen und eine Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen. Gegen dieses Maulkorb-Gesetz hat die EU-Kommission im März 2021 ebenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, über das der EuGH noch nicht entschieden hat.

Erneutes Vertragsverletzungsverfahren wahrscheinlich

Gleichzeitig versucht die PiS-Regierung, sich mit Hilfe des nun von ihr kontrollierten polnischen Verfassungsgerichts gegen die Vorgaben des EuGH zu immunisieren. Am Mittwochnachmittag entschied das polnische Verfassungsgericht, dass Polen nicht verpflichtet sei, einstweilige Maßnahmen des EuGH zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit zu beachten, denn der EuGH sei nicht zur Kontrolle nationaler Justizsysteme befugt.

Am Donnerstag war ein weiteres Urteil des polnischen Verfassungsgerichts erwartet worden, wonach der Vorrang des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar ist. Dieses Urteil wurde inzwischen auf Montag verschoben. Sollte das polnische Verfassungsgericht tatsächlich den Vorrang des EU-Rechts ablehnen, müsste die EU-Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten.

Katarina Barley: „PiS-Regierung spielt mit dem Feuer“

Die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, sieht in dem Urteil „ein erneutes Stoppschild gegen den Rechtsstaatsabbau der PiS-Regierung“ in Polen. Nachdem am Mittwoch der EuGH die sofortige Einstellung der illegalen Disziplinarkammern für polnische Richter*innen angeordnet hatte, stellte das von der PiS-Regierung kontrollierte Verfassungsgericht fest, dass solche Urteile künftig in Polen keine Geltung mehr haben. „Damit steht Polen mit einem Bein außerhalb der europäischen Rechtsgemeinschaft“, erklärte Barley am Donnerstag.

Indem sich die PiS-Regierung vom polnischen Verfassungsgericht die Gültigkeit der europäischen Rechtsprechung in Polen insgesamt verneinen lassen wolle, entferne sie sich immer weiter von der europäischen Wertebasis. „Damit spielt die PiS mit dem Feuer, denn das käme einem Austritt Polens aus der europäischen Rechtsgemeinschaft gleich.“ 

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