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EU-Gelder für Flüchtlinge in der Türkei: Hilfe oder Bestechung?

Heute reist der türkische Premier Ahmet Davutoğlu zum EU-Flüchtlingsgipfel nach Brüssel. Wichtiger Punkt auf der Tagesordnung: drei Milliarden Euro Flüchtlingshilfe von der EU an die Türkei. Was erwartet sich die Türkei von diesem Geld, wohin soll es fließen? Ein Überblick.
von Kristina Karasu · 7. März 2016

2,7 Millionen syrische Flüchtlinge leben in der Türkei, viele von ihnen wollen weiter nach Europa: Allein im Februar flohen 55.000 Flüchtlinge von hier aus über das Mittelmeer nach Griechenland. Die EU fordert von der Türkei, diese Zahlen drastisch zu reduzieren. Zudem soll sie Flüchtlinge aus der EU zurückzunehmen, die kein Anrecht auf Asyl haben. Im Gegenzug stellt die EU der Türkei eine Wiederbelegung der EU-Beitrittsverhandlung, Visa-Erleichterungen und drei Milliarden Euro zur Versorgung der Flüchtlinge in Aussicht. Die Türkei hat in den letzten fünf Jahren  bereits fast zehn Milliarden Dollar für die syrischen Flüchtlinge ausgegeben – eine immense finanzielle Bürde.

Es fehlt an langfristigen Integrationsmaßnahmen

Wohin sollen nun die drei Milliarden EU-Gelder fließen? Antwort darauf hat die türkische Katastrophenschutzbehörde AFAD, die die Flüchtlingshilfe in der Türkei koordiniert. Auf Anfrage von „vorwärts“ erklärt AFAD, das ein Drittel des Geldes für laufende Kosten und zwei Drittel für langfristige Investitionen geplant sind. Dazu gehöre der Bau von 70 Schulen und 120 Krankenhäusern, die Umwandlung von drei aus Zelten bestehenden Flüchtlingslager in Container-Städte  und eine bessere Ausstattung der Küstenwache, um Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten.

Der erste Teil des Geldes sei schon geflossen, erklärte die EU-Kommission am Freitag. 55 Millionen Euro wurden bereitgestellt, um die Schuldbildung syrischer Flüchtlingskinder zu sichern – wohl eines der dringendsten Probleme. Denn über die Hälfte der syrischen Flüchtlingskinder in der Türkei gehen nicht zu Schule, viele von ihnen schon seit Jahren. Zudem erhält das UN World Food Programme zusammen mit ihrem lokalen Partner, dem Türkischen Roten Kreuz, 40 Millionen Euro für humanitäre Hilfe.

Während in Europa viele der Ansicht sind, man müsse vor allem in Flüchtlingslager investieren, widerspricht Abdulhalim Yilmaz von der Menschenrechtsorganisation Mazlumder in Istanbul dem vehement. „Niemand will auf Dauer in einem Lager leben – nach Jahren gleicht das dem Leben in einem Gefängnis“, so Yilmaz. Die Flüchtlinge wüssten, dass sie auf lange Zeit nicht in ihre Heimat zurückkehren können. „Nun fehle es an Maßnahmen, die Flüchtlinge langfristig in die türkische Gesellschaft zu integrieren: Sie brauchen gute Bildung, Jobs, rechtliche Sicherheit. Solange sie hier keine Zukunft sehen, werden sie weiter alles tun, um nach Europa zu gelangen.“

In Arbeitsmöglichkeiten für Syrer investieren

Syrischen Flüchtlingen steht in der Türkei zwar unter vorübergehendem Schutz, ein Anrecht auf Asyl aber haben sie nicht. Die Flüchtlingslager gelten als vorbildlich, doch nur ein Zehntel der Flüchtlinge leben dort. Die anderen schlagen sich in der Grenzregion oder den Metropolen des Landes durch. Sie haben kaum Anrecht auf staatliche Hilfen. Theoretisch steht ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu, in der Praxis werden sie aber oft in überfüllten Krankenhäusern abgewiesen.

Immerhin verabschiedete die Regierung Anfang des Jahres eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis für Syrer: Zehn Prozent der Belegschaft eines Betriebes dürfen Flüchtlinge sein. Das greift zu kurz, meint Migrationsexperte Murat Erdoğan von der Hacettepe Universität Ankara: „Die meisten Betriebe, in denen Syrer arbeiten, sind sehr klein, etwa Friseurläden, Restaurants, Schneiderwerkstätten – das Gesetz wird da nicht greifen. An der Situation der Flüchtlinge wird sich daher kaum etwas ändern – sie werden weiter schwarz und zu Löhnen weit unter dem Mindestlohn arbeiten.“

Die Katastrophenbehörde AFAD appelliert daher an die internationale Gemeinschaft, vor allem in Arbeitsmöglichkeiten für Syrer zu investieren: „Arbeit trägt zu einer menschenwürdigen Existenz bei und sorgt für Selbstbewusstsein. Daher müssen Sektoren aufgebaut werden, in denen Syrer arbeiten können.“ Doch bisher sei die internationale Unterstützung absolut unzureichend – in allen Bereichen.

Drei Milliarden Euro sind keine Lösung

So ist in der Türkei die Skepsis gegenüber den EU-Hilfen groß. Viele sehen es wie Menschenrechtler Yilmaz: „Das ist ein Bestechungsgeld, mit dem die EU der Türkei sagt: kümmert euch um die Flüchtlinge, aber haltet sie von uns fern. Damit kauft sie sich von ihrer Verantwortung frei – das kommt einer Beleidigung gleich.“ Schnell redet er sich in Rage, so wütend macht ihn die Haltung der EU. Und auch EU-Minister Volkan Bozkır findet deutliche Worte: Die drei Milliarden Euro seien keine Lösung für das Flüchtlingsproblem.

Die EU hingegen hält sich mit deutlichen Worten gegenüber ihrem Verhandlungspartner Türkei vor dem Flüchtlingsgipfel zurück. Dabei geht das Land innenpolitisch weiter beunruhigende Wege. Im blutigen Konflikt mit der PKK ist kein Ende in Sicht, Regierungsgegner werden systematisch mundtot gemacht. Einzig EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) wagt im „Tagesspiegel am Sonntag“ zu äußern: „Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung an die Europäische Union zu verspielen“. Doch klar ist auch: Solange die EU ihre Grenzen verschließt, hat sie der Türkei moralisch wenig entgegenzusetzen.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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