Nach den Provokationen im Frühjahr setzt Nordkoreas Führer Kim Jong Un auf wirtschaftliche Reformen. Das ist eine Chance für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel.
Auf der koreanischen Halbinsel ist Ruhe eingekehrt – jedenfalls suggeriert dies die fehlende Berichterstattung nach dem Ende der durch Nordkorea provozierten Spannungen im Frühjahr dieses Jahres. In der Tat ist nicht mehr von einem möglichen Atomkrieg, sondern von Dialog die Rede, und die Lage hat sich zumindest vordergründig deutlich entspannt.
Damit hat sich die Lesart der großen Mehrheit der Korea-Experten und Beobachter bestätigt, dass die rhetorische „Frühjahrsoffensive“ der Nordkoreaner – der immerhin der dritte Atomtest Nordkoreas am 12. Februar vorausging, gefolgt von vergleichsweise scharfen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats – eben nur Rhetorik war und Nordkorea nicht beabsichtigt hat, eine militärische Eskalation der angespannten Lage anzuzetteln.
Doch was steht nun hinter der Eskalation im Frühjahr und der Beruhigung sowie den diplomatischen Dialogofferten Nordkoreas an die Adressen Südkoreas und der USA dieser Tage?
Rückblickend ist zu konstatieren, dass es dem neuen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un um zweierlei ging: Zunächst ist in innenpolitischer Hinsicht das Bestreben erkennbar geworden, aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Erfolge die Bevölkerung durch das Schaffen einer Bedrohungssituation hinter der neuen Führung zu vereinen. Gleichzeitig wurden inmitten der Spannungen wirtschaftliche Reformen beschlossen, und es wurde ein als Wirtschaftsreformer geltender Politiker zum Premierminister ernannt.
Wirtschaftsreformen statt „Militär-zuerst“-Politik
Es könnte sogar sein, dass die unter Kim Jong Il, dem Vater des aktuellen Diktators, eingeführte „Militär-zuerst“-Politik stillschweigend abgeschafft wurde. Jedenfalls hat die nordkoreanische Führung eine zweigleisige Strategie beschlossen: der Ausbau der zivilen und militärischen Nuklearkapazitäten soll ebenso erfolgen wir verstärkte wirtschaftliche Entwicklung, wobei – und das ist das Neue – die nukleare Entwicklung dem wirtschaftlichen Aufbau dienen soll. Dies könnte bei aller berechtigten Kritik an der Nuklearstrategie Nordkoreas ein wichtiger Indikator dafür sein, dass Kim Jong Un und seine Berater stärker an wirtschaftlichen Reformen interessiert sind als der sehr vorsichtige Kim Jong Il.
Friedensvertrag mit den USA angestrebt
Außenpolitisch ging es Kim Jong Un mit dem Eskalationskurs darum, die Aufmerksamkeit der USA und der Weltöffentlichkeit zu erlangen, nachdem Nordkorea auf der außenpolitischen Prioritätenliste der ersten Obama-Administration ziemlich weit unten rangierte. Nordkorea drängt aber auf einen Friedensvertrag mit den USA und auf Sicherheitsgarantien, um ein sicheres Umfeld für die angestrebte wirtschaftliche Entwicklung und die notwendige Stabilität für das Überleben des Regimes zu erlangen.
Um dies zu erreichen, strebt Nordkorea Verhandlungen an, denn es ist der Führung dort völlig klar, dass sie ein so hohes Spannungsniveau wie im Frühjahr nicht dauerhaft aufrechterhalten kann. Hinzu kommt, dass Pjöngjang vielleicht etwas überrascht von der klaren Reaktion seines großen Verbündeten China auf den dritten Atomtest war: China hat erstmals neu beschlossene Sanktionen umgesetzt und sein Missfallen gegenüber dem Atomtest und der sicherheitspolitischen Eskalation gegenüber Nordkorea deutlich ausgedrückt. Darüber hinaus setzt sich die chinesische Regierung mit Nachdruck für die Wiederaufnahme der seit 2009 ruhenden Sechsparteiengespräche zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel ein.
USA und China müssen wechselseitiges Misstrauen überwinden
Noch zieren sich die USA und Südkorea und bestehen auf glaubhaften Schritten Nordkoreas bzgl. Denuklearisierung vor dem Beginn von bi- oder multilateralen Gesprächen. Letztlich wird sich aber die Erkenntnis durchsetzen müssen, dass dauerhafte Entspannung nur durch Verhandlungen erreicht werden kann, die ohne einseitige Vorbedingungen stattfinden. Erst am Ende eines längeren Prozesses der Vertrauensbildung könnte dann eine schrittweise Aufgabe des nordkoreanischen Atomprogramms stehen. Keineswegs wird Nordkorea bereit sein, die Aufgabe seines Atomprogramms als Ausgangsbedingung für Verhandlungen zu akzeptieren. Von dieser Vorstellung sollte man sich verabschieden, weil sie eine dringend notwendige Verhandlungslösung nur immer weiter hinauszögert, einhergehend mit einer neuerlichen Erhöhung der Spannungen.
Für eine dauerhafte Normalisierung der Sicherheitslage auf der Koreanischen Halbinsel wäre es allerdings von zentraler Bedeutung, dass die USA und China ihr wechselseitiges Misstrauen überwinden und ein gemeinsames strategisches Verständnis zur Bearbeitung des Nordkorea-Problems und zur Zukunft der Koreanischen Halbinsel entwickeln. Es muss gelingen, dass keine der beiden Großmächte durch die Korea-Frage einen strategischen Vorteil in ihrer Großmächterivalität erlangen will. Nur dann kann es zu einer konstruktiven und nachhaltigen Verhandlungslösung kommen, die auch einen Friedensvertrag und die Beendigung des seit über 60 Jahre andauernden formellen Kriegszustandes auf der Koreanischen Halbinsel einschließt.
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