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„Es steht jetzt 
Spitz auf Knopf“

Eine Finanztransaktionssteuer würde Deutschland satte Steuereinnahmen bescheren und im Idealfall die Finanzmärkte zähmen. Die Finanzlobby fährt deshalb gegen die Abgabe alles auf, was sie bieten kann. Carsten Sieling, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über den aktuellen Stand der Verhandlungen
von Yvonne Holl · 6. Mai 2015

Eine Finanztransaktionssteuer könnte Deutschland bis zu 45 Milliarden Euro bescheren. Das ist eine gewaltige Summe, die fast 15 Prozent der Bundesausgaben ausmacht. Warum wird eine solche Geldquelle nicht längst genutzt?

Sozialdemokraten und Sozialisten kämpfen seit Jahren europaweit für die Einführung der Steuer. Aber die Widerstände, die wir überwinden müssen, sind ähnlich hoch wie die möglichen Einnahmen. Klar ist, dass die 45 Milliarden Euro zu hoch gegriffen sind, weil die Summe unterstellt, dass es keinerlei Ausweichreaktion auf dem Finanzmarkt gibt. Aber selbst wenn es nur zehn oder 15 Milliarden Euro sind, wären das erhebliche Einnahmen für Deutschland, wenn die Steuer umfassend und mutig eingeführt ist. Deshalb fährt die Finanzlobby alles gegen die Einführung auf, was sie bieten kann. Selbst Frankreich und Italien lassen sich davon einschüchtern und wackeln, obwohl sie bereits erklärt hatten, dass sie die Steuer einführen wollen. Großbritannien droht sogar offen mit Klage. Wir sind in einer entscheidenden Phase. Bei den europäischen Verhandlungen steht es jetzt Spitz auf Knopf. Mit offenem Ausgang.

Würden Kleinanleger und Girokonto-Inhaber auch belastet?

85 Prozent und damit der weit überwiegende Teil des weltweiten Finanzhandels werden von der Finanzindustrie selbst verursacht – ohne, dass irgendein Kunde oder Anleger dazu einen Auftrag erteilt hat. Diese – in der Fachsprache „Eigenhandel“ genannten – Geschäfte umfassen zum Beispiel auch den sogenannten Hochfrequenzhandel. Dabei werden mittels Hochleistungscomputern in Nanosekunden tausende Wertpapiere gehandelt. Man muss sich das einmal vorstellen: Das ist der milliardste Teil einer Sekunde. Das hat mit dem klassischen Girokonto nichts zu tun.

Kritiker warnen, durch die Besteuerung würden drastisch weniger Finanzgeschäfte durchgeführt. Wie sehen Sie das?

Wäre das so schlimm? Zur Verdeutlichung zwei Zahlen: Im Jahr 2014 hat die Wirtschaftsleistung der gesamten Welt ungefähr 75 Billionen US-Dollar betragen. Allein der Handel mit Derivaten – das sind Wertpapiere, deren Wert sich wiederum von dem Wert anderer Wertpapiere ableitet – betrug aber über 700 Billionen Dollar. Das ist das Zehnfache der Weltwirtschaftsleistung! Niemand kann mir erzählen, dass man diese ganze Zockerei braucht. Die Finanztransaktionssteuer setzt genau dort an, weil sie diese schädlichen Spekulationsgeschäfte teurer und damit unattraktiver macht. Schon ein sehr niedriger Steuersatz von zum Beispiel 0,01 Prozent auf jede Transaktion kann da helfen, weil die Gewinnspanne der Finanzakrobaten pro Geschäft nur sehr gering ist. Deshalb ja die Masse der Transaktionen.

Würde eine Finanztransaktionssteuer Krisen vorbeugen oder ihre Auswirkungen mildern?

Die Finanztransaktionssteuer ist ein sozialdemokratisches Identitätsprojekt. Es war die SPD, die dafür gesorgt hat, dass ihre Einführung in Deutschland im Koalitionsvertrag steht. Aber wir können uns in dieser Frage nicht allein auf Finanzminister Schäuble verlassen. Die Durchsetzung einer wirksamen Finanztransaktionssteuer ist die Aufgabe der gesamten Bundesregierung und aller europäischen Sozialdemokraten um Martin Schulz. Die Studie liefert dazu gute Argumente. Die Finanztransaktionssteuer hilft, die enormen Kosten der letzten Krise abzufedern. Sie wird außerdem die schädlichen Spekulationsgeschäfte eindämmen. Das macht den Finanzmarkt künftig sicherer. Klar ist aber auch: Solange die Steuer nicht weltweit oder zumindest in ganz Europa eingeführt ist, bleiben Lücken, die die Zocker ausnutzen werden. Deshalb brauchen wir eine umfassende Finanztransaktionssteuer. Sie ist sinnvoll, machbar und überfällig.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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