Erfolg der Menschenjagd: Pariser Schütze festgenommen
Politisch verwirrt, selbstmordgefährdet, voller Hass auf die französischen Medien und vorbestraft – dieses Bild hat sich nach der Festnahme des steckbrieflich gesuchten Schützen von Paris, Abdelhakim Dekhar, ergeben. Der 48-Jährige hatte in der linksliberalen Zeitung Libération einen Fotoassistenten angeschossen, danach eine Bank im Geschäftsviertel "La Defense" mit seinem Pumpgun unter Feuer genommen und schließlich einen Autofahrer als Geisel gezwungen, ihn zur Avenue des Champs-Elysées zu fahren. Er blieb unverletzt.
In zwei sichergestellten Briefen faselt der Täter von einem faschistischen Komplott, von Banken als Symbol der Korruption und erwähnt einige Konflikte im Nahen Osten. Seinen Hass auf die Presse erklärt er damit, sie manipuliere die Massen. Die Ermittler untersuchen derzeit, ob er linksradikalen militanten Kreisen angehört hat.
Eine 72-stündige Menschenjagd
72 Stunden lang hatte die Pariser Polizei auf Hochtouren nach dem bewaffneten Unbekannten gefahndet. Über die Medien wurden die Pariser zur Mithilfe aufgerufen. Eine solche Jagd nach einem Kriminellen, an der 500 Polizisten beteiligt waren, hatte es in der Millionenmetropole noch nicht gegeben. Dank des Hinweises eines Bekannten von Dekhar konnte der steckbrieflich Gesuchte in einer Tiefgarage des Vorortes Bois-Colombes festgenommen werden. Er soll in einem Wagen gekauert haben und von Medikamenten halb benommen gewesen sein. Wenige Stunden später konnte der Gefangene in einem Krankenhaus vernommen werden; in der Polizeipräfektur soll ihm die Anklageschrift noch am Donnerstag vorgelesen werden.
Der aus einer algerischen Familie stammende Dekhar war polizeibekannt. In den neunziger Jahren war er in dem Kriminalfall Florence Rey verwickelt. Rey hatte eine Polizeiwache überfallen, um Waffen für Banküberfälle zu erbeuten. Nach Festnahme der Frau, die eine 20-jährige Haftstrafe erhielt, wurde Dekhar wegen Beschaffung eines Gewehrs zu vier Jahren verurteilt und kam 1998 frei. Der Fall zeigte eine beispiellose Brutalität: Drei Polizisten, ein Taxifahrer und der Freund der Rey wurden bei der Schiesserei und Verfolgung getötet. Nach seiner Freilassung brüstete sich Dekhar damit, nun für den algerischen Geheimdienst tätig zu sein mit der Aufgabe, linksradikale Kreise zu unterwandern.
Der Täter kauerte "lebensmüde" in der Tiefgarage
Er soll sich auch in anarchistischen Kreisen aufgehalten haben. Ein Bekannter, der die Polizei auf seine Spur setzte, beherbergte ihn mehrere Male. Als er zu Wochenbeginn im Fernsehen das Fahndungsfoto sah, verwehrte er Dekhar die Wohnung. Dieser drohte mit Selbstmord. "Ich habe eine Dummheit begangen", gab er zu. Angeblich wollte er in der Tiefgarage seinem Leben ein Ende setzen. Den entscheidenden Hinweis hatte also der Bekannte gegeben.
Freitagmorgen hatte der geistig verwirrte Mann seine Gewalttour durch Paris begonnen. Er drang zunächst in das Foyer des TV-Senders BFMTV ein und drohte dem Chefredakteur, er komme wieder, um ihn beim nächsten Mal "umzupusten". Danach tauchte er in der Libération-Redaktion auf und verletzte einen Fotoassistenten schwer. Er ist seit Wochenanfang außer Lebensgefahr. Im Geschäftsviertel La Defense im Westen von Paris schoss er auf Wände und Bürofenster einer Bank. Dann zwang er einen Autofahrer, ihn zur Avenue des Champs-Elysées zu fahren, wo sich seine Spur verlor.
Nun hatte die Polizei genügend Fingerabdrücke. Eine DNA-Analyse der Staatsanwaltschaft ermittelte die Identität des Täters. Zwei Fotos zeigten zudem den 52-Jährigen auf der Sitzbank in einer U-Bahnstation und auf der Flucht vor einer Videokamera. Die Pariser Polizei spricht mit Recht von einem großen Fahndungserfolg – dank der Mitarbeit der Öffentlichkeit. Noch nie war in Frankreichs Hauptstadt so komplett und umfangreich ein Staatsfeind Nr. Eins gejagt worden. "Endlich mal eine gute Nachricht für Präsident Hollande!", atmeten einige Pariser Gazetten auf.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).