Bukarest – Was für einen Abend! Schon vor dem Sonnenuntergang sammelten sich im Hauptquartier der Sozialliberalen Union (USL) Kandidaten und Anhänger. Genau wie im Januar, als die Bukarester wochenlang gegen die drastischen Sparmaßnahmen heftig protestiert haben, zieht eine bittere Kälte über die Hauptstadt. Es hat nicht viel geschneit, doch der sonst chaotische und aggressive Verkehr hat sich beruhigt. Anders als damals herrscht heute überall feierliche Stimmung.
Sämtliche Umfragen der letzten Wochen gaben das linke Lager als klaren Favorit. „Aber wird es reichen, um allein regieren zu können?“, lautet die Frage auf allen Zungen. Pünktlich um 21 Uhr ist es so weit. Die Fernsehsender schalten zur Wahlleitung, ein Beamter bestätigt, dass die Wahl abgeschlossen ist. Auf den Riesenbildschirmen tauchen die ersten Ergebnisprojektionen auf: Es ist ein Erdrutschsieg. Fast 60 Prozent der Wähler haben der USL von Premier Victor Ponta ihre Stimmen gegeben. Das wirtschaftsliberale Lager um Staatspräsident Basescu und seine Partei PDL erhält dagegen gerade einmal 19 Prozent und kommt knapp vor den 14 Prozent der populistischen „Volkspartei Dan Diaconescu“ (PPDD) des gleichnamigen Fernsehmoderators.
Wahlen gegen neoliberale Agenda
Damit erteilt die überwiegende Mehrheit dem Sparkurs der ehemaligen PDL-Regierung noch einmal ein klares Nein. Bereits im Sommer, bei dem Referendum über Basescus Amtsenthebung, stimmten 86 Prozent der Wahlbeteiligten für die frühzeitige Absetzung des Präsidenten. Dennoch scheiterte damals das Verfahren, weil nur 46 Prozent der Stimmenberechtigten zu den Urnen gingen. Die heutige Wahlbeteiligung war bei Kälte und Schnee mit rund 41 Prozent immerhin besser als 2008.
„Das Ergebnis zeigt, dass die Mehrheit genug von der neoliberalen Agenda der letzten Jahre hat. Unsere Mitbürger wollen keine Privatisierung des Gesundheitssystems, keine weiteren Verkäufe von Energieunternehmen, keine Lockerung des Kündigungsrechts bei gleichzeitigen Begünstigungen für die Arbeitgeber. Es ist ihnen egal, dass der IWF und Kanzlerin Merkel Maßnahmen, die in Deutschland unvorstellbar wären, hier und in anderen Ländern Süd- und Osteuropas unbedingt durchsetzen wollen“, sagt der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse.
Ob die USL eine echte Alternative zum bisherigen Sparkurs bieten kann, steht freilich auf einer anderen Seite. Ein radikaler Bruch oder ein Alleingang im Stil des ungarischen Premiers Viktor Orbán sind so gut wie ausgeschlossen. Zum einen musste Ponta wichtige Kompromisse in der Wirtschaftspolitik akzeptieren, um möglichst viele Wähler in den strukturstärkeren Großstädten Siebenbürgens für sich zu gewinnen. So wird es auch mit einer linken Regierung bei der 16-prozentigen Flat-Steuer auf alle Einkommen und Unternehmensprofite bleiben. Weder die Töchter der westeuropäischen Konzerne, noch deren rumänischen leitenden Angestellten, noch die einheimischen Unternehmer sind bereit, mehr zu zahlen. Zum anderen fehlt die Unterstützung der Basis für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Brüsseler Konsensus. Die Angst der Bürger, wieder als Außenseiter am Rande Europas da zu stehen, ist einfach zu groß.
Eine andere Generation
Dass ein Linksbündnis bei den Parlamentswahlen sogar die Wahlkreise der Hauptstadt erobern konnte, ist eine Premiere und eine bittere Niederlage für das bürgerliche Lager, das ihre Hochburg verliert. Zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren konnte sich die wohlhabende, gut gebildete Bukarester Mittelschicht, die von Basescus Steuersenkungen am meisten profitierte, offensichtlich nicht durchsetzen. „Was wir heute feiern, ist nur ein erster Sieg“, sagt der 34-jährige Menschenrechtsaktivist Cristian Branea, der auch an den Protesten im Frühjahr teilgenommen hat. „Vor 20 Jahren demonstrierten unsere antikommunistischen Eltern gegen den damaligen Präsidenten Ion Iliescu. Heute aber ist Rumänien nicht mehr das Land von damals, und wir sind eine andere Generation. Wir sind für mehr Solidarität, für die Umwelt und gegen Sozialdarwinismus und Raubtierkapitalismus, die heute hierzulande herrschen. Die Parlamentswahlen zu gewinnen, reicht aber noch nicht. Es bleibt unklar, ob Basescu den Wählerwillen überhaupt respektiert.“
Branea hat recht: Zwar kann sich die USL einer komfortablen Parlamentsmehrheit sicher sein, aber den Premier ernennt in Rumänien der Präsident. Sollte eine Partei über mehr als 50 Prozent der Sitze verfügen, besagt die entscheidende Stelle in der Verfassung, dass das Staatsoberhaupt den Vorschlag dieser Partei akzeptieren muss. Dieser Vorschlag heißt aber Victor Ponta und den möchte Präsident Basescu partout nicht ernennen. Die Lösung dieses Dilemmas? Der Präsident liest seit Monaten diese Textstelle buchstäblich und behauptet, dass die USL ein Bündnis sei – und keine Partei im Sinne der Verfassung. So bekommt er viel mehr Spielraum.
Das Szenario wäre nicht neu. Schon 2004 und 2009 hatte Basescu die jeweils vorhandene, obgleich fragile Parlamentsmehrheit ignoriert, einen Premier aus dem eigenen Lager ernannt und durch neue Verhandlungen, individuelle und wenig transparente Deals mit einzelnen Abgeordneten eine Regierungsmehrheit nach eigenem Belieben geschmiedet. Die USL befürchtet, dass sich diese Situation wiederholen könnte, zumal viele Hinterbänkler alle vier Jahre das Fähnchen nach dem Wind drehen und das Lager wechseln. Der USL-Vorsitzende und bisherige Senatspräsident Crin Antonescu warnte mehrmals vor einem zu langen Zögern und drohte Basescu mit der sofortigen Einleitung eines neuen Amtsenthebungsverfahrens, sollte er bei der Verfassungslektüre tricksen und jemand anderes zum Premier ernennen.
Im Hauptquartier der USL wird gejubelt, doch die Sektflaschen bleiben noch im Kühlschrank. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse ergreift Antonescu das Wort. „Ich danke euch für eure Stimmen. Der Ministerpräsident Rumäniens heißt Victor Ponta!“, ruft er. „Ich hoffe, dass Herr Basescu vernünftig bleibt und das Wahlergebnis respektiert.“ Auf den Fluren rumort es. Niemand weißt so wirklich, was der nächste Schritt des Staatspräsidenten sein wird. Es werden unterschiedliche Szenarien durchgespielt. „Kanzlerin Merkel und Kommissionspräsident Barroso, die sich im Sommer Sorgen um den Rechtsstaat machten, müssen ihren Kollegen aus der Europäischen Volkspartei anrufen und ihm mitteilen, dass die demokratischen Regeln auch für ihn gelten“, kommentiert einer der USL-Genossen.