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Erdoğans Rache an Merkel

Quo vadis Türkei? Darüber diskutierte das Forum Demokratische Linke. Mit beunruhigenden Ergebnissen: Präsident Erdoğan sei ein „verkappter Fundamentalist“, er unterstütze den Islamischen Staat und wolle sich mit dem Flüchtlingsstrom an Merkel rächen.
von Paul Starzmann · 24. Februar 2016
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan

„Dreh- und Angelpunkt“ zahlreicher aktueller Konflikte sei die Türkei heute, sagt die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, Hilde Mattheis. Das Land am Bosporus nehme zunehmend eine Schlüsselrolle in der Region ein – nicht zuletzt durch Unterstützung der Bundesrepublik und der EU: Rund drei Milliarden Euro wollen die Europäer nach Ankara überweisen. Als Gegenleistung soll die türkische Regierung die Migrationsbewegung über das Mittelmeer eindämmen.

Undurchsichtige Lage und „unvollendete Demokratie“

Für die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis ist die Lage in der Türkei immer weniger zu durchschauen. Es stellten sich viele Fragen, sagt die SPD-Politikerin: Wie ist das Verhältnis der islamisch-konservativen Regierung in Ankara zu den Kurden, zur EU und dem „Islamischen Staat“?

Edzard Reuter nennt die Türkei seine „zweite Heimat“ – von 1933 bis 1946 lebte der Sohn des berühmten Sozialdemokraten Ernst Reuter als Kind in Ankara im Exil. Die Türkei, sagt Reuter, sei eine „unvollendete Demokratie“, die demokratische Staatsform existiere nur auf dem Papier. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hielt die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, zu Deutsch: Republikanische Volkspartei) das politische Monopol im Land. Inzwischen sei die sozialdemokratische CHP beinahe bedeutungslos, so Reuter. Den Machtanspruch hält heute eine andere Partei – Recep Tayyip Erdoğans AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, zu Deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung).

Erdoğans Rache für die „privilegierte Partnerschaft“

Erdoğan sei kein zuverlässiger Politiker, findet der Journalist Baha Güngör. Ein „verkappter Fundamentalist“ sei der türkische Präsident. Die drei Milliarden Euro, die bald von Brüssel aus nach Ankara fließen sollen, könnten nichts bewirken, sagt Güngör. Die türkischen Sicherheitskräfte seien zwar sehr wohl in der Lage, die Grenzen zu Griechenland zu sichern. Allein: Es fehle am politischen Willen.

Unter der islamisch-konservativen AKP, so Güngör, rücke die Türkei immer weiter weg von Europa. Dabei standen die Zeichen 2005 auf Annäherung: Die EU und die Türkei nahmen Beitrittsverhandlungen auf. In Deutschland wollten das nicht alle, vor allem die Union stellte sich quer. Statt einer Vollmitgliedschaft brachten Angela Merkel und Wolfgang Schäuble die „privilegierte Partnerschaft“ ins Spiel – in der aktuellen Krise räche sich jetzt die ablehnende Haltung der CDU, sagt der ehemalige Deutsche-Welle-Korrespondet Güngör.

HDP Berlin fordert: Mehr Druck, weniger Waffen

Der Konflikt zwischen der kurdischen Minderheit und der Regierung in Ankara wird seit vielen Jahren auch in Deutschland ausgetragen. Das Berliner Büro der pro-kurdischen HDP (Halkların Demokratik Partisi, zu Deutsch: Demokratische Partei der Völker) wurde in den vergangenen Monaten immer wieder Ziel von Angriffen, mutmaßlich von türkischen Faschisten. Auch in der Türkei leiden die Aktivisten der Partei unter Gewalt.

Die Co-Vorsitzende der HDP Berlin, Mehtap Erol, wünscht sich von der EU mehr Druck auf die türkische Regierung und über Verhandlungen Frieden zu schaffen. In der anatolischen Stadt Diyarbakır leide vor allem die Zivilbevölkerung durch monatelange Ausgangssperren und Feuergefechte. Der SPD rät die HDP-Sprecherin, den Export von Waffen an die Türkei grundlegend zu überdenken. Erdoğan unterstütze auch den „Islamischen Staat“, ist sich Mehtap Erol sicher.

Den Dialog aufrecht erhalten

Einig waren sich alle Teilnehmer beim Dialog der Demokratischen Linken in Berlin über dies: Die Gespräche mit der Türkei müssen weitergehen – auch mit Recep Tayyip Erdoğan, der zwar ein schwieriger Gesprächspartner sei und selbst die Verfassung des eigenes Staates nur wenig achte. Eine Alternative zum Dialog gebe es aber angesichts der heiklen Lage im Nahen Osten nicht.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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