Kritische Ermittler sind nicht erwünscht. Statt eine Aufarbeitung der Korruptionsaffäre zu fördern, lässt die türkische Regierung Polizisten strafversetzen und der Ministerpräsident bleibt bei seiner Theorie der ausländischen Verschwörung.
Die türkische Regierung räumt auf: Allein in Ankara wurden in der Nacht auf Dienstag 350 Polizisten versetzt, darunter ranghohe Mitglieder der Abteilungen für Terrorbekämpfung sowie für Finanz- und organisierte Kriminalität. Wie viele Beamte insgesamt seit dem Auffliegen des Korruptionsskandals am 17. Dezember versetzt wurden, ist noch nicht ganz klar, es dürften an die tausend sein.
Die Ermittlungen wegen Korruption richten sich unter anderem gegen Geschäftsleute und gegen Söhne von inzwischen zurückgetretenen Ministern. Die AKP-Regierung bildete im Dezember ihr Kabinett um und tauschte zehn von 26 Posten aus. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat damit besonders loyale Abgeordnete um sich gescharrt. Auch die Polizeiführung wurde ausgetauscht.
Regierung behindert Ermittlungen
Die türkische Regierung behindert seitdem massiv die Arbeit von Polizei und Justiz. Der Staatsanwalt Muammer Akkaş, der nach eigenen Angaben weitere Verhaftungen vorbereitet hat, wurde noch im Dezember von dem Fall abgezogen. Laut Medienberichten sollte unter anderem gegen den Sohn des Ministerpräsidenten, Bilal Erdoğan, ermittelt werden. Vorgesetzte hätten ihn unter Druck gesetzt, erklärte Akkaş. Der Istanbuler Oberstaatsanwalt Turan Çolakkadı hielt dagegen und sagte, Akkaş habe gegen Dienstvorschriften verstoßen.
Der ebenfalls in dem Korruptionsskandal ermittelnde Staatsanwalt Zekeriya Öz beklagte ebenfalls er werde in seiner Arbeit behindert. Inzwischen hat der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), der unter anderem für Personalfragen zuständig ist, eine Untersuchung angekündigt.
Doch auch die Staatsanwälte haben Loyalitäten. Staatsanwalt Öz etwa, der durch den Ergenekon-Prozess bekannt wurde, gilt als Anhänger der Bewegung des Imams Fethullah Gülen. Die Gülen-Bewegung verfügt über großen Einfluss in Polizei und Justiz, wie unter anderem der investigative Journalist Ahmet Şık herausgefunden hat. Hinter den Kulissen vermuten Experten einen Machtkampf zwischen Erdoğan-Anhängern und der Gülen-Bewegung.
Erdoğan wirft Justiz Putschversuch vor
Ministerpräsident Erdoğan sieht hinter dem gesamten Korruptionsskandal nach wie vor eine Verschwörung gegen seine Regierung. Er beschuldigt sowohl Fethullah Gülen als auch „ausländische Mächte“. Am Wochenende warf er der Justiz einen Putschversuch vor.
Staatspräsident Abdullah Gül hat in seiner Neujahrsansprache zur Unabhängigkeit der Justiz gemahnt. Doch von einer Aufarbeitung der Korruptionsaffäre ist im Moment nichts zu spüren, stattdessen gibt es weitere Verhaftungen – und Entlassungen:
Am Dienstagmorgen etwa wurden in Izmir und vier weiteren Provinzen 25 Menschen wegen Korruptionsvorwürfen und Manipulation festgenommen, darunter Verantwortliche des Hafens von Izmir. Details sind noch nicht bekannt. Zwei der ermittelnden Polizeibeamten wurden daraufhin am Nachmittag entlassen.
Viele AKP-Anhänger glauben an Verschwörung
Trotz der aktuellen Krise dürfte die AKP in den Kommunalwahlen am 30. März stärkste Kraft bleiben. Viele AKP-Wähler informieren sich aus den regierungsnahen Medien und glauben weiterhin an die Theorie der ausländischen Verschwörung, genau so wie ihr Ministerpräsident. Selbst wenn Gülen-Anhänger sich dazu entscheiden sollten die AKP nicht zu wählen, werden sie ihre Stimme wohl kaum der Opposition geben, sondern vielmehr ins Lager der Nichtwähler wechseln. Der Kandidat der stärksten Oppositionspartei CHP, Mustafa Sarıgül, hat jedoch reale Chance auf den Bürgermeisterposten in Istanbul, der seit mehr als zehn Jahren von der AKP beziehungsweise deren Vorgängerpartei RP besetzt wird.
Für Erdoğan selbst könnte der Korruptionsskandal jedoch politische Folgen haben. Als Ministerpräsident darf er nicht mehr antreten. Um ins Präsidialamt zu wechseln, braucht er jedoch die Unterstützung seiner Partei. Und dort rumort es weiter. Insgesamt sind inzwischen sieben AKP Abgeordnete zurückgetreten. Oppositionspolitiker Levent Tüzel stellte zwei parlamentarische Anfragen an Erdoğan: Laut Tüzel stehen die ehemalige Familienministerin Fatma Şahin und Ex-Europaminister Egeman Bagış im Verdacht, in ihren Ämtern Aufträge an ausgewählte Firmen vergeben zu haben, sowie Verwandten, Bekannten und AKP-Anhängern illegal Posten verschafft zu haben.
Nachtrag vom 8. Januar, 12 Uhr:
In der Nacht zu Mittwoch hat die türkische Regierung die Polizeichefs von 16 Provinzen von ihren Posten entbunden. Sein Amt verloren hat auch der Vizechef der nationalen Polizei.