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Erdbeben und Corona: Die doppelte Krise in Kroatien

Durch die Corona-Pandemie und ein Erdbeben vom vergangenen Wochenende steckt Kroatien in einer doppelten Krise. Die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten gravierender sein als während des Krieges Anfang der 90er-Jahre.
von Türkan Karakurt · 26. März 2020
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Das Erbeben am Morgen des 22. März hat die Anspannungen, unter denen die Menschen in Kroatien in Folge der Corona-Krise ohnehin schon leiden, auf ein Höchstmaß ansteigen lassen. Zwei Beben der Stärke 5,5 und 5,0 nach der Richterskala erschütterten am Sonntagmorgen gegen halb sieben die Hauptstadt Zagreb sowie ihr Umland und führten zu erheblichen Schäden; stundenlang mussten die Menschen bei winterlichen Temperaturen und leichtem Schneefall auf der Straße oder in ihren Autos ausharren, weil es Dutzende von Nachbeben gab und sie nicht in ihre Wohnungen zurück konnten. Eine Jugendliche wurde in ihrem Haus von einer eingestürzten Mauer so schwer verletzt, dass sie einige Tage danach ihren Verletzungen erlag.

Mehrere Nachbeben Anfang der Woche

Auch in den Tagen danach gab es Dutzende Nachbeben von Stärken bis 3,3 nach der Richterskala. Beschädigt wurden vor allem viele alte Gebäude im Zentrum der Stadt und mussten geräumt werden, darunter auch drei Krankenhäuser, Schulen, Universitäts- und Regierungsgebäude. Selbst das Parlamentsgebäude wurde so schwer beschädigt, dass das Parlament an einem Ersatzort tagen muss. Die Bürger*innen, deren Wohnungen und Häuser nicht mehr bewohnbar sind, haben sich in den meisten Fällen bei Verwandten und Freunden einquartieren müssen, kein angenehmer Zustand in Zeiten der Corona-Pandemie, wo Sozialkontakte eigentlich auf das Minumum reduziert sein sollten. Für andere obdachlos gewordene Menschen wurden notdürftig Studierendenwohnheime bereitgestellt.

Für die Menschen, aber auch für Regierung und Wirtschaft ist das Erdbeben ein herber Schlag, denn zu den wirtschaftlichen Kosten der Coronakrise kommen nun Kosten für die Wiederherstellung der Infrastruktur und den Wiederaufbau hinzu.

Einschränkung des öffentlichen Lebens seit 9. März

Zwar stand das Land in der Corona-Krise vergleichsweise gut da, weil die Zahl der Infizierten in den ersten Wochen der Pandemie nur geringfügig wuchs. Seit dem 12. März wächst sie allerdings auch exponentiell mit einem täglichen Plus an Infizierten von 25 bis 35 Prozent und es ist zu befürchten, dass in der Folge des Erdbebens ein zusätzlicher Anstieg erfolgen könnte. Am 24. März waren bei einer Gesamtbevölkerungszahl von knapp 4 Millionen insgesamt 382 Personen offiziell infiziert – zum Vergleich lagen am gleichen Tag die Zahlen für Österreich bei 5.283 und für die Schweiz bei 9.877 (bei einer doppelt so großen Bevölkerung) und für Slowenien bei 480, das nur halb so viele Einwohner*innen hat wie Kroatien.

Zur Eindämmung der Pandemie hatte die kroatische Regierung ähnlich wie in anderen Ländern Europas bereits frühzeitig massiv in den Alltag der Menschen eingegriffen. Immer mehr Veranstaltungen und Zusammenkünfte wurden bereits in der Woche vom 9. März abgesagt, seit dem 16. März ist das öffentliche Leben praktisch zum Erliegen gekommen. Schulen und öffentliche Einrichtungen wurden geschlossen, der Schulunterricht wird über Fernsehkanäle und online abgehalten und auch an den Universitäten halten Dozent*innen ihre Seminare im Internet ab. Restaurants und Cafés wurden sukzessive geschlossen, aber wie in anderen Ländern auch bleiben Geschäfte der täglichen Versorgung wie Supermärkte und Apotheken weiterhinhin Betrieb.

Wirtschaftliche Folgen schlimmer als während des Krieges

Wer immer kann und nicht in systemrelevanten Arbeitsfeldern tätig ist, arbeitet seit dem 16. März von zu Hause. Eine allgemeine Ausgangsperre gibt es derzeit nicht, aber am 23. März wurde der öffentliche Nahverkehr in den Städten eingestellt, so dass etwa in Zagreb nur noch Sonderbuslinien für Personen mit Sondererlaubnis betrieben werden. Auch wurden alle Bus- und Eisenbahnlinien zwischen den Städten eingestellt, nur wenige Fluglinien im Inland werden noch betrieben, der Flughafen in Dubrovnik wurde wegen der Infektionen des Personals stillgelegt. Der Flugverkehr mit dem Ausland wurde gänzlich eingestellt, nur Sonderflüge (für medizinische und Versorgungs­zwecke) werden aufrechterhalten. Die Fähren zu den kroatischen Adriainseln dürfen nur noch von den Inselbewohner*innen benutzt werden.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und des Erdbebens sind für Kroatien noch nicht absehbar, aber viele Expert*innen schätzen, dass der Rückgang des BIPs höher sein wird als im Krieg der 90er Jahre (1991 fiel das BIP um etwa 20%). Die Regierung hat inzwischen auch das erste Maßnahmenpaket zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie beschlossen. Im wesentlichen geht es um folgende Maßnahmen: Alle Steuern und Beiträge werden vorerst für drei Monate ausgesetzt, alle betroffenen Firmen dürfen eine staatliche Subventionierung der Löhne und Gehälter in Höhe des Minimallohns (etwa 500 Euro) beantragen, die Nationalbank ermöglicht den kommerziellen Banken die Bereitstellung von ausreichenden Kreditlinien für Unternehmen mit einem Zinssatz unter einem Prozent. Weitere Maßnahmen werden in Zukunft folgen, auch eine vorübergehende Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst wird nicht ausgeschlossen.

Verhältnis zu Nachbarländern

Slowenien und Ungarn waren die ersten Nachbarländer, die Grenzschließungen beschlossen haben, und auch Kroatien hat seine Flüge ins Ausland ausgesetzt und erlaubt nur noch zwingend erforderliche Einreisen ins Land. Die Länder der Region Südosteuropa versuchen dennoch, einvernehmliche Lösungen für die Menschen zu finden, denn die Grenzschließungen bringen Belastungen für Kroaten und ihre Nachbarn mit sich. Aus Deutschland oder Österreich kommend oder dorthin fahrend müssen sie in dringenden Fällen auf dem Landweg über Slowenien und Kroatien reisen; die italienische Route ist ja schon länger infolge der katastrophalen Ausbreitung der Corona Epidemie im Norden des Landes verschlossen.

Ganz dramatische Auswirkungen haben sowohl die Corona-Pandemie als auch die Folgen des Erdbebens auf Kroatiens erste EU-Ratspräsidentspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres; viele informelle Sitzungen wie auch Ministerräte, die in Zagreb stattfinden sollten, mussten auf Videoüberkonferenzen ausweichen. Es ist fraglich, ob unter den gegebenen Umständen das für den 7. Mai angesetzte Gipfeltreffen zum Westbalkan stattfinden kann; dies ist eines der wichtigsten politischen Projekte für Kroatiens Ratspräsidentschaft.

Auswirkungen auf die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Auswirkungen der Pandemie auf die politischen Bildungsarbeit der FES sind gravierend, denn die meisten Seminare und Konferenzen sind als Präzensveranstaltungen konzipiert, an denen oft auch Referent_innen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern teilnehmen. Am 11. März fand eine letzte internationale Expertenrunde zum Thema Nachhaltigkeit in Kooperation mit dem kroatischen Außenministerium in Zagreb statt, danach mussten sukzessive alle Veranstaltungen für den April verschoben oder abgesagt werden. Fraglich ist, ob die für den Mai geplanten Aktivitäten stattfinden können, daher weichen wir derzeit überall dort, wo möglich, auf online-Formate aus.

Die Mitarbeiter_innen des Zagreber Büros der FES arbeiten wie die meisten anderen Beschäftigten in Zagreb im home-office; sie stehen seit dem Erdbeben aber unter besonderer Anspannung, da es auch Tage danach Nachbeben gab und insbesondere ihre Kinder große Ängste ausstehen müssen. Auch unser Büro befindet sich in einem Altbau in der Innenstadt, das geräumt werden musste und so lange nicht betreten werden darf, bis die Stadt seine Statik geprüft und es wieder freigegeben hat. Wir hoffen, dass dies trotz Corona zeitnah geschieht und wir prüfen können, wie groß die Schäden im Innern des Büros sind.

Autor*in
Türkan Karakurt

ist Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stfitung in Zagreb. 

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