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Entzug der Autononmierechte für Katalonien: Die Folgen sind unabsehbar

Der Katalonien-Konflikt eskaliert weiter. Am Donnerstag ist das zweite Ultimatum der Regierung in Madrid verstrichen. Am Samstag könnten den Katalanen nun die Autonomierechte entzogen werden. Gibt es noch einen Ausweg aus der Krise?
von Gero Maaß · 19. Oktober 2017
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Die Urnen sagen ja zur Unabhängigkeit, und diesen Weg werden wir gehen.“ Mit diesen Worten hatte der katalanische Regionalpräsident Puigdemont in der vergangenen Woche das Recht der Unabhängigkeit Kataloniens als Ergebnis eines (zweifelhaften) Referendums unterstrichen: Den finalen Verkündigungsschritt mit klarem Fahr-und Zeitplan hat er indes bis heute vermieden und die ohnehin nebulöse Verkündigung gleich wieder suspendiert. Fast alle rätselten, Puigdemont hatte die Region in die Unklarheit entlassen.

Feierten ihn seine Anhänger beim Gang ins Parlament noch mit „Präsident, Präsident“-Rufen, quittierten sie das Ende seine Rede mit Pfiffen. Die linksradikalen, separatistischen CUP-Abgeordneten erhoben die Hände nicht zum Applaus. In einem Nebenraum unterzeichneten die Abgeordneten der separatistischen Koalitionsparteien eine Art Unabhängigkeitserklärung, die sie anschließend gleich wieder aussetzten. Mit klaren Entscheidungen oder gar rechtlich legitimierten staatlichem Handeln hat das alles nichts zu tun. Das Ziel: Zeit und Raum für einen Dialog mit Madrid schaffen oder zumindest Madrid den schwarzen Peter für den Fortgang der Dinge in die Schuhe schieben. Diese Strategie ist nicht aufgegangen.

Eine Unabhängigkeit träfe die Katalanen im Portemonnaie

Vor allem drei Entwicklungen mögen die Regionalregierung zur Vorsicht ermahnt haben. Die machtvolle Demonstration am 8. Oktober in Barcelona all jener Katalanen, die keine Abspaltung möchten, die Ankündigungen (bzw. zum Teil schon vollzogen) von sechs der sieben im spanischen Börsenindex IBEX 35 aufgelisteten Unternehmen mit Sitz in Katalonien, ihre  Zentrale in eine andere spanische Regionen zu verlegen und schließlich die Stellungnahme der populären Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau (endlich zeigt der regionale Zweig von Podemos einmal Flagge), gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung: Zwar hätten beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 90 Prozent mit ja gestimmt, bei gerade einmal 40-prozentiger Wahlbeteiligung (von der fragwürdigen Rechtsgrundlage oder Durchführung einmal ganz abgesehen) reiche dies als politische Legitimation und Handlungsgrundlage nicht aus, argumentierte sie.

Vor allem die sich abzeichnenden Firmenentscheidungen treffen die Region dort, wo mit der Motor des Aufbegehrens der letzten Jahre (die hohen Steuerabflüsse an Madrid) liegt: beim Portemonnaie.

Premier Rajoy steht unter Druck

Der konservative Premier Rajoy in Madrid seinerseits steht unter enormen Druck auch aus seiner eigenen Partei, endlich den Artikel 155 der Verfassung anzuwenden. Das Kabinett wird am Samstag darüber entscheiden, dann müsste der Senat (die zweite Kammer) innerhalb von drei Tagen zustimmen. Dort verfügt die konservative PP über eine absolute Mehrheit. Ähnlich dem Artikel 37 des deutschen Grundgesetzes steht in Spanien Bundes- vor Landesgesetz. Madrid kann damit autonome Gemeinschaften zur Räson bringen, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, die ihnen von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegt werden und sie in einer Weise handeln, die das allgemeine Interesse Spaniens ernsthaft untergraben. Dieser Artikel kam bislang nie zur Anwendung, die erforderlichen Maßnahmen sind nicht klar festgelegt – und die Folgen ihrer Anwendung unabsehbar.

Bei einer „weichen“ Anwendung etwa würde nur das Regionalparlament aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben. Im harten Szenario könnte die Selbstverwaltung aufgehoben, ein Verwalter eingesetzt und die katalanische Polizei, die mossos d'esquadra, Madrider Oberbefehl unterstellt werden, um die autonome Gemeinschaft im Sinne der Verfassung wieder „zur zwingenden Erfüllung dieser Verpflichtungen und zum Schutz besagten Allgemeininteresses anzuhalten“. Sollte sich die Lage zuspitzen, könnte der Premier mit Zustimmung des Parlaments das ganze sogar noch mit dem Artikel 116 verbinden – er regelt mit klaren Ausführungsbestimmungen und Kompetenzuweisungen den Notstand und die Terrorbekämpfung.  

Madrid und Katalonien gerieten schon öfter aneinander

In ihrer wechselvollen Geschichte geraten Madrid und Katalonien nicht das erste Mal aneinander. 1932 etwa verhandelte man in der 2. Spanischen Republik schon einmal vergeblich ein Autonomiestatut. Bevor Diktator Franco dann vier Jahrzehnte lang blutig für Grabesruhe sorgte und die demokratische Verfassung Spaniens Katalonien 1978 den Status eines besonderen Autonomen Gebiets verankerte. Dem katalanischen Willen nach noch mehr Rechten kam man 2006 entgegen – vier Jahre später wurde das entsprechende Gesetz indes vom Verfassungsgericht aus dem Verkehr gezogen. Die seit 2011 regierende PP Regierung schaltete auf taubstumm.

In der damaligen Parlamentsdebatte vom 13. Mai 1932 wandte sich José Ortega y Gasset, einer der wichtigsten spanischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, an die Abgeordneten. In seinen Augen sei „das katalanische Problem ein Problem …, das nicht gelöst werden kann, sondern uns weiter begleiten wird. Das ist ein ewiges Problem, das schon immer da war, bevor die Halbinsel-Einheit existierte und so lange bleiben wird, wie Spanien besteht; das ist ein ewiges Problem, das nur gemeinsam getragen werden kann.”

Der Fall Katalonien könnte Schule machen

Ortega y Gasset (der immer einen Weg suchte, Liberalismus und Sozialismus miteinander zu versöhnen) war übrigens ein entschiedener Gegner aller europäischen Nationalismen. Auf einer Konferenz der FU Berlin im Jahr 1949 setzte er sich für die Auflösung der europäischen Nationalstaaten (in ihrer bisherigen Form) und für die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ ein. Dies macht ihn auch zu einem der bedeutendsten Vordenker der europäischen Gemeinschaft und zum Zweifler gegenüber dem nationalstaatlichen Provinzialismus, zumal in Form von zwar sprachlich-kulturell oder geschichtlich identifizierbarer, indes nicht gewachsener Kleinstaaten.

Und ja, manche fürchten Nachahmer aus dem Fall Katalonien. Die französischen Katalanen sind mit der Zusammenlegung verschiedener Verwaltungsregionen zu Okzitanien unzufrieden, Teile der radikalen Basken schnuppern Morgenluft, Siebenbürgen sieht sich als mitteleuropäische Wohlstandsinsel Rumäniens, die flämischen Nationalisten wären die „armen“ Wallonen nur zu gerne los, in Nordirland wittert Sinn Fein ein eigentlich längst aufgegebenes Wiedervereinigungswunder, die Korsen hoffen auf ein verbessertes Autonomiestatut und die in Schottland regierende Nationalpartei (SNP) erholt sich nach dem Schock der britischen Parlamentswahlen und dürfte sich ermutigt fühlen, nach dem Brexit Anlauf zu einem  neuerlichen Referendum zu nehmen.

Smarter Föderalismus als Ausweg aus der Krise?

Das stark proeuropäisch geprägte Spanien könnte mit gutem Beispiel eines „gemeinsamen Tragens“ vorangehen und sich an den Aufbau eines smarten Föderalismus machen, der in der Demokratie auch schwierige Landesteile mit eigener Sprache und Kultur als „Nation der Nationen“ zum Wohle aller einzubinden vermag. Dafür braucht es das Gespräch zwischen allen beteiligten politischen Kräften. Die sozialdemokratische PSOE hat ihren Vorschlag einer Parlamentskommission wiederholt, die in den nächsten sechs Wochen die Prozedere für einen Verfassungsänderungsprozess fixiert. Der könne dann in einem Jahr abgeschlossen sein. Mit der Entscheidung, Katalonien unter zentrale Verwaltung zu stellen, wäre ein solcher Weg allerdings in weite Ferne gerückt.

Autor*in
Gero Maaß

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.

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