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Energiekrise: Wie andere EU-Länder ihre Bürger*innen entlasten

Einmalzahlungen, Steuersenkungen, höhere Sozialleistungen: Die EU-Länder entlasten auf unterschiedliche Weise ihre Bürger*innen bei steigenden Energiekosten. Kann Deutschland in der Krise von Frankreich, Spanien oder Italien lernen, Joachim Schuster?
von Benedikt Dittrich · 19. August 2022
Die Energiepreise steigen überall in der EU – die Belastungen sind aber unterschiedlich verteilt.
Die Energiepreise steigen überall in der EU – die Belastungen sind aber unterschiedlich verteilt.

Joachim Schuster, Spanien hat sie schon, in Deutschland wird sie gefordert: Eine Übergewinnsteuer. War die Umsetzung in Spanien viel einfacher – oder wirkt sie in Deutschland nur komplizierter?

Die technischen Schwierigkeiten gibt es überall. Denn es ist schwer zu bestimmen, was ist ein Übergewinn und was nicht, das muss erstmal definiert werden. Die eigentliche Frage dahinter ist aber: Wie können die Entlastungsmaßnahmen finanziert werden, die die Staaten gerade auf den Weg bringen?

Da gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten: Über Einsparungen im Haushalt, neue Schulden oder zusätzliche Einnahmen. Weil es sich um Dimensionen handelt, die nicht dauerhaft über Einsparungen oder neue Schulden finanziert werden können, ist die Antwort einiger Staaten jetzt: Wir brauchen zusätzliche Einnahmen.

Dieser Frage muss sich auch Deutschland stellen.

Eine Frage, die Spanien mit der Übergewinnsteuer für sich beantwortet hat.

Und Italien auch, das ist mir wichtig zu sagen. Gerade Italien wird oft vorgeworfen, dass sie einen sehr laxen Umgang mit Staatsschulden hätten. Aber auch dort wird überlegt, woher das Geld für Entlastungen kommen soll.

Sind die Menschen in Deutschland eigentlich besonders stark betroffen oder sitzen wir als EU gemeinsam in einem Boot?

Die Belastungen sind unterschiedlich verteilt, aber Deutschland ist keineswegs am stärksten betroffen: Griechenland steht momentan bei einem Energiekostenanstieg von 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, Irland nur bei rund zehn Prozent. Deutschland liegt mit 25 bis 30 Prozent dazwischen. Das liegt zum Teil am Energiemix und an den Bezugsquellen von Energieträgern, leider haben wir auch noch keinen gemeinsamen Energie-Binnenmarkt, um das auszugleichen.

Belastet sind aber alle in der EU. Das zeigt sich in der Inflationsrate, die überall sehr hoch ist. So hoch, dass es Entlastungsmaßnahmen für sozial schwächere Haushalte geben muss, wenn man diese nicht überfordern will. Und da halte ich es für richtig, diejenigen heranzuziehen, die von den steigenden Energiepreisen besonders profitieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat nun verkündet, dass die Mehrwertsteuer auf Gas gesenkt werden soll. Eine spürbare Entlastung?

Wenn man es mit der aktuellen Gasumlage verrechnet, ist das zunächst ein Nullsummenspiel. Es ist zwar eine Entlastung, aber man kann bei dieser Steuersenkung leider nicht nach Einkommensgruppen unterscheiden. Es werden erstmal alle Haushalte entlastet. Viele Länder haben aber erstmal so gehandelt und ihre Energiesteuern gesenkt.

Ein weiteres Entlastungspaket wird gerade geschnürt. Nochmal der Blick über den Tellerrand: Kann man sich Entlastungen von Nachbarländern abschauen?

Fast alle EU-Länder haben schon Sonderzahlungen an bedürftige Haushalte beschlossen. Das lässt sich auf verschiedenen Wegen auszahlen, das macht Deutschland schon. Eine weitere Möglichkeit ist ein Energiepreisdeckel, den haben Länder wie Österreich, Portugal, Frankreich, Estland, Griechenland, Belgien, Rumänien und Kroatien.

Also eine ganze Reihe von Ländern.

Ja. Er funktioniert übrigens ganz anders als die Gasumlage in Deutschland: Die Versorger dürfen über einen festgelegte Summe hinaus nicht mehr Geld für Energie verlangen. Das heißt, sie machen aktuell Verluste. Die betroffenen Unternehmen müssen dann also gezielt unterstützt werden. Diese Unterstützung zahlen dann aber nicht die Kunden oder Verbraucher, sondern direkt der Staat.

Der Vorschlag wird auch in Deutschland diskutiert: Ökonom Sebastian Dullien hat zum Beispiel vorgeschlagen zumindest einen Teil des Energieverbrauchs so zu deckeln.

Frankreich hat außerdem noch die Sozialleistungen und Renten angehoben. Eine sehr breite Maßnahme, die aber auch viele einkommensschwache Haushalte erreicht. Und Spanien hat eine Einschränkung für Stromsperren eingeführt. Das ist weniger eine Entlastung, sondern nimmt den Menschen die Angst, dass sie ihre Wohnung verlieren, wenn sie ihre Stromrechnung nicht mehr zahlen können.

Steigt eigentlich die Gefahr einer neuen Eurokrise, wenn jetzt viele Maßnahmen – wie schon während der Pandemie – über Schulden finanziert werden?

Kurzfristig wird sich die Verschuldung erhöhen, ja. Das geht gar nicht anders. Allerdings: Die Finanzierung der Entlastungen über Schulden darf kein Dauerzustand sein. Staatliche Schulden sollten im Normalfall nur für öffentliche Investitionen aufgenommen werden. Deswegen dürfen wir nicht nur über Steuersenkungen nachdenken, sondern müssen auch neue Einnahmequellen erschließen.

Möglichkeiten, im Staatshaushalt zu sparen, gibt es zwar immer, das wird aber bei weitem nicht reichen. Deswegen sind Übergewinnsteuern, Unternehmenssteuerreformen, die Einführung einer Vermögenssteuer oder die Erhöhung der Spitzensteuersätze durchaus Optionen, die jetzt diskutiert und zumindest zum Teil umgesetzt werden sollten.

Denn wir haben ja auch noch einen gigantischen Investitionsbedarf, um den Klimawandel abzufedern oder zu verhindern. Den können wir nicht beliebig zurückstellen. Und hier geht es ebenfalls um zweistellige Milliardenbeträge jährlich.

 

Joachim Schuster ist Abgeordneter im Europaparlament. Der Sozialdemokrat aus Bremen ist finanzpolitischer Sprecher der Europa-SPD und unter anderem Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft und Währung sowie internationalen Handel.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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