Die afghanische Beschwerdekommission (EEC) hat mehr als 2.000 Beschwerden erhalten, die nun untersucht werden müssen. Bereits bei der Registrierung der Wähler war es zu zahlreichen Problemen gekommen. So verzichtete die Wahlkommission bei der Erstellung eines neuen Wahlregisters auf die Erhebung fälschungssicherer biometrischer Daten. Vor den Wahlen sollen Wahlausweise offen auf Märkten angeboten worden sein. Zudem habe es zahlreiche Bestechungsversuche von Kandidaten gegeben. Am Wahltag selbst sollen laut Abdullah Abdullah in der Provinz Ghazni 80.000 Wahlzettel illegal ausgefüllt worden sein. Andere Kandidaten beklagten, für sie abgegebene Wahlzettel seien aus den Urnen entfernt worden.
Einschüchterung und gefälschte Wahlzettel
Nach den Wahlen konstatierten Wahlbeobachter, dass es zu zahlreichen Fällen von Einschüchterung gekommen sei. Die Afghanistan Free and Fair Election Foundation kritisierte, dass Analphabeten
vorgeschrieben wurde, wen sie wählen sollten und auch Wahlhelfer Partei ergriffen hätten. In Kandahar, Paktia und Ghazni sollen gefälschte Wahlzettel in die Urnen gekommen sein, vor allem
zugunsten Karzais. Diese seien der Unabhängigen Wahlkommission jedoch bereits durch die Eintönigkeit der abgegebenen Kreuzchen, unseriöse Seriennummern und falsche Wählerregistrierungen
aufgefallen und wurden dementsprechend als ungültig aussortiert.
"Die Wiederholung der Auszählung betreffe etwas mehr als 2.500 von 26.300 Wahllokalen," sagte Grant Kippen, Sprecher der von den Vereinten Nationen unterstützten Beschwerdekommission. Knapp
zehn Prozent der Wahllokale müssen überprüft und die Stimmen erneut ausgezählt werden. Betroffen sind vor allem diejenigen, in denen die Beteiligung bei 100 Prozent lag oder in denen ein Kandidat
mehr als 95 Prozent der gültigen Stimmen erhielt.
Mehr als ein Viertel der Stimmen gefälscht?
Der Chef der EU-Wahlbeobachtermission, Philippe Morillon hatte die Wahlkommission zwar dazu aufgerufen, das vorläufige amtliche Endergebnis erst zu veröffentlichen, wenn die
Beschwerdekommission ihre Arbeit beendet hat - doch offensichtlich ohne Erfolg. Die Wahlbeobachter gehen sogar davon aus, dass mehr als ein Viertel der Stimmen gefälscht worden seien, ihren
Berechnungen zufolge käme Präsident Karzai nur auf 1,8 Millionen Stimmen und damit auf 41,79 Prozent. EU-Wahlbeobachter hatten Wahllokale mit mehr als 600 Stimmen und Ergebnislisten von über 90
Prozent für einen Kandidaten herausgerechnet, nach Kriterien, die die afghanische Wahlkommission selber festgelegt hatte, um Manipulationen auf lokaler Ebene zu vermeiden. Insgesamt kam die
Beobachter der EU dabei mit 3.700 umstrittenen Wahlstationen auf deutlich mehr als die afghanische Wahlkommission.
Der wichtigste Herausforderer Abdullah Abdullah kritisierte seit langem geplante Wahlfälschungen durch die Anhänger Karzais. Er geht von einer Million gefälschter Stimmen aus und forderte
seinen Konkurrenten zu einer Stichwahl auf. Dies sei auch im Interesse Afghanistans, so der ehemalige Außenminister, einerseits könnte dadurch neues Vertrauen gewonnen werden, andererseits hätten
Karzais Anhänger nicht genug Zeit für weitere Manipulationen. Abdullah warf der Wahlkommission vor, auf Seiten Karzais zu stehen, der ihre wichtigsten Posten verteilt hatte. Insgesamt versprach
der ehemalige Außenminister jedoch, seine Anhänger weiterhin zur Ruhe aufzurufen und den Unmut über die Wahlen im Zaum zu halten.
Neuausrichtung der Afghanistan-Politik gefordert
Die EU-Außenminister zeigten sich in Brüssel besorgt über die Manipulationsvorwürfe. Einerseits darf es keine Vorverurteilung Karzais, andererseits keine Zweifel an den Ergebnissen der Wahl
geben. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt über die Betrugsvorwürfe. Beim EU-Außenministertreffen in Brüssel forderte er rasche Aufklärung. "Es muss das Interesse des
afghanischen Staates sein, dass der neu gewählte Präsident Akzeptanz findet in ganz Afghanistan," so Steinmeier, "deshalb muss den Vorwürfen nachgegangen werden, und das so schnell wie möglich."
Bei seinen EU-Kollegen warb der Außenminister für eine Neuausrichtung der Afghanistan-Politik. Wenn der Sieger der Präsidentschaftswahl endgültig feststehe, müsse die internationale Gemeinschaft
mit der Regierung in Kabul neue Absprachen treffen. Nötig sei "eine klare Vereinbarung darüber, welche Ziele wir in welchen Zeitabschnitten wollen," so Steinmeier.
Bis das amtliche Endergebnis jedoch feststeht, können noch Wochen vergehen. Noch ist offen, wie viele Stimmen ungültig sind. Und Präsident Karzai könnte wieder unter die 50 Prozent-Hürde
fallen, so dass es zu Stichwahlen kommt. Die Wahlbeteiligung lag bei insgesamt bei nur 38,7 Prozent.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.