Emmanuel Macrons Rede war Sozialdemokratie pur
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat im Strassburger Europaparlament dazu aufgerufen, Europa und die liberale Demokratie zu verteidigen. Nur dreißig Minuten, aber eine Rede, die es in sich hatte. Eine Ableitung, was Demokratie in der europäischen Denktradition bedeutet, warum die europäische Union gerade heute so wichtig ist und wie sie demokratisch fortzuentwickeln wäre. Sozialdemokraten müssen die Ohren geklungen haben. Und die Herzen höher geschlagen. Denn das, was Macron an diesem 17. April formuliert hat, das war mit viel Pathos versehen: Sozialdemakratie pur - was man vom französischen Präsidenten selbst ja nicht unbedingt sagen kann.
„Unsere Trumpfkarte“
„In genau diesem Moment, gekennzeichnet vom weltweiten Erstarken von Autokraten und Despoten“, erklärte Macron ohne dabei Putin, Erdogan oder Trump beim Namen zu nennen, im Moment der Gefährdung der EU durch antiliberale Ideen aus den eigenen Reihen - ohne Orban und Kaczinski zu nennen - und dem Brexit, dem Austritt aus der Verantwortung für die Demokratie in der Union, gerade jetzt gelte es, so Macron, die Demokratie und die EU zu verteidigen. „Gegen autoritäre Einstellungen ist die Antwort nicht eine autoritäre Demokratie, sondern die Autorität der Demokratie.“ Da klang Willy Brandts berühmtes „mehr Demokratie wagen“ nach.
Überhaupt ermunterte Macron die Abgeordneten zu mehr direkter Debatte mit den Bürgern, um Europa und seine Demokratie mit Leben zu füllen, gerade dann, „wenn es schon mal hart und ruppig werden kann“. Er forderte auf, „nationale Egoismen“ zugunsten der gemeinsamen Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu überwinden. Das sei „unsere europäische Identität und ein einzigartiges Modell in der Welt“, das sei „unsere Trumpfkarte“ und zugleich die einzige Chance in der globalisierten Welt zu bestehen. Dazu bedürfe es einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Flüchtlingspolitik, eines gemeinsamen Verbraucherschutzes und gemeinsamer Sozial- und Finanzpolitik. Frankreich wolle diesen Weg zu einer „neuen europäischen Souveränität“ gehen.
Vordergründig viel Applaus
Stellt sich nur die Frage: mit wem? Die konservativen Europaskeptiker um die britischen Tories und die polnische PIS ließen prompt verlauten, Europa kranke nicht daran, zu wenig Macht zu haben, sondern habe schon jetzt viel zu viel. Europa solle aufhören, die Menschen zu bevormunden. Ähnlich dürftig die Reaktionen aus der Fraktion der Linken, die schon zu Beginn der Rede twitterten, Macrons Europa sei nicht das Europa der Menschen, sondern das der Reichen. So weit, so vorhersehbar.
Die Christdemokraten machen das anders: vordergründig viel Applaus für den proeuropäischen Elan, aber wenn es konkret wird, wenn es um einen gemeinsamen Haushalt plus Finanzminister in der Eurozone geht, gar um Bankenunion und die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds EWF, dann wird perfide über Bande gespielt. Einige Hinterbänkler grummeln in bester AfD-Diktion, der EWF dürfe nicht kommen, weil sonst der deutsche Steuerzahler die “Schulden aller Anderen” zu schultern habe. Offiziell heißt es, der EWF sei wichtig, könne aber nur durch Änderung der Verträge beschlossen werden und nicht durch einstimmiges Votum des Rates, also aller EU-Regierungschefs.
Macron beim Wort nehmen
Was demokratisch klingt, dient nur einem Zweck: den EWF durch die kalte Küche zu verhindern und damit auch gleich eine gemeinsame Finanzpoltik in der EU. Ganz abgesehen davon, dass die EU für deutsche Steuerzahler bisher kein Zuschussgeschäft ist, sondern im Gegenteil, der Fiskus sogar noch an den Kreditgarantien für Griechenland viel Geld verdient hat, wissen die Christdemokraten, allen voran die CDU/CSU, natürlich ganz genau, dass eine Änderung der Verträge nicht schaffbar ist. In einigen Staaten, weil es dafür ein Referendum bräuchte; in Deutschland, weil es schlicht an den Unionsabgeordneten im Bundestag scheitern würde. Mag der Koalitionsvertrag auch den Titel tragen “Ein neuer Aufbruch für Europa”, mag darin auch viel von “europäischer Solidarität” stehen: Wer glaubt, CDU/CSU stimme geschlossen für einen europäischen Währungsfond, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.
Es wird an den Sozialdemokraten liegen, ein Europa der Bürger zu schaffen, eines, dass sich soldarisch zeigt, dem Gemeinwohl verpflichtet, offen für unterschiedliche Ideen und Menschen. Dabei kann es nicht schaden, Emmanuel Macron beim Wort zu nehmen, zu prüfen, ob er den großen Worten ebenso starke Taten folgen läßt. Oder noch besser: mit Nachdruck dafür sorgen. In Deutschland und Europa.