Einschränkung der Pressefreiheit: „Die Einschläge rücken näher heran“
Die Türkei landet in der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ mit Platz 155 auf einem hinteren Rang. Seit dem Putschversuch wurden rund 150 Journalisten verhaftet und mehr als 170 Medien geschlossen. Wer kritisch berichtet, riskiert die Festnahme. Gehört die Pressefreiheit zu den ersten Opfern auf Erdoğans Weg in eine Autokratie?
Die „Reporter ohne Grenzen“ wurden vor 23 Jahren gegründet mit dem Wahlspruch „keine Freiheit ohne Pressefreiheit“. Umgekehrt gilt: Wenn ein Regime die Freiheit einschränken will, dann schränkt es als erstes auch die Pressefreiheit ein. Das sehen wir bei vielen autoritären Regimen, beispielsweise in Ägypten, Russland und jetzt in der Türkei. Das gilt übrigens auch für die EU-Länder Polen und Ungarn. In der Türkei gibt es noch einzelne freie Printmedien, die aber großen Mut aufbringen müssen, weil sie wissen, dass am nächsten Morgen die Polizei vor der Tür stehen kann und die Mitarbeiter im Gefängnis landen.
Mit „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel sitzt ein deutscher Journalist in der Türkei im Gefängnis. Ihm wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Präsident Erdoğan hat ihn als Terror-Helfer bezeichnet. Was halten Sie von dem Vorwurf?
Auch die Bundesregierung wird beschuldigt, Terroristen zu unterstützen. Insofern sehen wir, was von dieser Anklage zu halten ist. Erdoğan bezichtigt alle, die gegen ihn sind, des Terrorismus oder der Kriminalität. Damit hält er sich auch seine zentrale Klientel. Inzwischen sind alle Menschen, die nicht unmittelbar auf Erdoğans Seite stehen, überzeugt, dass es kein belastendes Material gegen Yücel gibt. Er hat lediglich seine Arbeit als Journalist gemacht.
In der westlichen Welt hat man sich daran gewöhnt, dass Medien als „Lügenpresse“ beschimpft oder der „fake news“ bezichtigt werden. Mit US-Präsident Trump wettert neuerdings sogar der mächtigste Mann der Welt gegen unliebsame Medien. Wie schlecht steht es um die Pressefreiheit?
Die Einschläge rücken näher heran. Schließlich gehören auch EU-Länder wie Polen und Ungarn zur westlichen Welt. Dort wird die Presse immer stärker nationalisiert oder gleichgeschaltet. Beide Länder schränken zunehmend unabhängige Medien und Journalisten ein. Kritik ist unerwünscht. Auch werden dort nicht mehr die Prinzipien hochgehalten, denen sich die „Reporter ohne Grenzen“ verschrieben haben und die auf der Menschenrechtserklärung basieren. Das heißt: dass wir Vielfalt brauchen und dass wir eine unabhängige Justiz brauchen, die über die Pressefreiheit wacht.
Deutschland befindet sich mit Rang 16 an der Spitze der Rangliste. Trotzdem kritisieren die „Reporter ohne Grenzen“ beispielsweise die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder den neuen Strafparagrafen zur „Datenhehlerei“, der den Umgang mit elektronisch gespeicherten Daten von Whistleblowern unter Strafandrohung stellt. Ist das Jammern auf hohem Niveau?
Deutschland hat ein hohes Niveau an Pressefreiheit, weil es eine unabhängige Justiz vor allem in Gestalt des Bundesverfassungsgerichtes hat. Dennoch: Wenn Deutschland und ein paar andere Länder keine Vorbilder mehr sind und keinen Standard setzen können, dann gibt es keine Maßstäbe mehr, an denen wir den Rückgang der Pressefreiheit in anderen Ländern messen können. Natürlich müssen wir in Deutschland andere Maßstäbe anlegen und genauer hinschauen, etwa wenn bei Pegida-Demonstrationen Journalisten angegriffen werden. In anderen Ländern sind solche Übergriffe tägliche Realität, ausgehend von Mafia-Gruppen, von der Regierung oder von bewaffneten Gruppen.
In Deutschland kommt es immer wieder zu Attacken auf Journalisten bei rechtspopulistischen und rechtsextremen Demonstrationen. In dem Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ ist deswegen die Rede von einer „Schere im Kopf“ einiger betroffener Journalisten, die nur noch vorsichtig berichten. Wie lassen sich Journalisten schützen?
Der Schutz durch die Polizei auf Pegida-Demonstrationen hat sich verbessert. Allerdings müssen sich Journalisten seitdem sehr viel stärker vorsehen, wenn sie sich in öffentlichen Medien, beispielsweise auf Twitter, klar gegen Rechts aussprechen. Es gibt sicherlich Kollegen, die deswegen zurückhaltender geworden sind. Ich glaube aber nicht, dass sich die Mehrheit der Journalisten einschüchtern lässt. Und ich glaube auch nicht, dass sich diese „Schere im Kopf“ in unseren Medien widerspiegelt. Wir haben genug ethisch geschulte und mutige Journalisten. Natürlich ist jeder Übergriff zu verurteilen und sollte, wenn es zu physischen Übergriffen kommt, streng verfolgt werden.