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Eine türkische Hardlinerin macht Erdoğan nervös

Bei der Wahl in der Türkei könnte eine Frau Präsident Erdoğan gefährlich werden. Die nationalistische und resolute Ex-Ministerin Meral Akşener zieht mit ihrer neuen Partei konservative und rechte Wähler an, also genau Erdoğans Klientel.
von Kristina Karasu · 3. Januar 2018
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Ausländischen Medien gibt Meral Akşener keine Interviews, heißt es in Istanbuler Journalistenkreisen. Auch die Anfrage des „vorwärts“, mit einem Vertreter ihrer neuen „İyi Parti“ (Gute Partei) ein Gespräch zu führen, blieb unbeantwortet. Unter normalen Umständen würde eine neu gegründete Partei alles tun, um an die Öffentlichkeit zu kommen. Aber in der Türkei ist seit Ausrufung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 nichts mehr normal. Meral Akşener scheint zu fürchten, als Spionin und Agentin ausländischer Mächte angeprangert zu werden, sollte sie mit der internationalen Presse reden – ein in der Türkei gängiger Vorwurf.

Nicht zu bremsen

National allerdings ist sie ganz und gar nicht still. Die 61-Jährige ist redegewandt und resolut, sie gilt als religiös und nationalistisch. Zwischen 1996 und 1997 war sie Innenministerin der Mitte-Rechts angesiedelten Demokratischen Partei (DP), später wurde sie Mitglied der ultra-rechten MHP. Als sie 2016 deren Parteivorsitzenden Devlet Bahçeli herausforderte, wurde sie kurzerhand aus der Partei ausgeschlossen.

Meral Akşener jedoch ließ sich nicht bremsen. Im Oktober 2017 gründete sie „İyi Parti“ und erklärte sie zur Partei der Mitte, die konservative wie liberale Wähler gleichermaßen ansprechen soll. Zu den Gründungsmitgliedern gehören ehemalige Mitglieder der MHP, der Regierungspartei AKP aber auch der republikanischen CHP. Sie hat sich zu einem Sammelbecken für frustrierte Politiker wie Wähler entwickelt.

Furcht vor der Opposition

Die regierungsnahen Medien räumen ihr wenig Sendezeit ein. Vielmehr beschimpfen sie Akşener als Anhängerin der Gülen-Bewegung, die Ankara für den Putschversucht 2016 verantwortlich macht. Akşener hingegen bestreitet jede Verbindung. Hätte sie welche, wäre die Justiz vermutlich längst eingeschritten. „Ich habe schwere Verleumdungen erlebt“, erklärte Akşener im Interview mit dem Fernsehsender Fox TV. Das habe etwas mit ihr gemacht. „Ich bin auf alles vorbereitet, selbst wenn es der Tod sein sollte.“ Solche Heldenrhetorik kommt in der Türkei gut an. Zugleich signalisieren die permanenten Anschuldigungen, wie sehr die Regierung Akşener fürchtet.

Denn so mächtig Erdoğan auch ist – nichts ängstigt ihn so sehr wie eine starke Opposition. Beim Referendum im April um die Einführung eines Präsidialsystems, das alle Macht in Erdoğans Händen bündeln soll, erreichte er nur eine hauchdünne Mehrheit. Die nächsten Wahlen stehen eigentlich 2019 an, dabei sollen zeitgleich Präsident und Parlament gewählt werden. Sollte Erdoğan erneut zum Staatspräsident gewählt werden und die AKP zugleich die absolute Mehrheit im Parlament ergattern, würde das Präsidialsystem endgültig in Kraft treten. Doch Erdoğan scheint in Eile zu sein. Die Anzeichen mehren sich, dass er die Wahlen auf Sommer 2018 vorziehen will. Akşeners Partei könnte Erdoğan gefährlich werden, regierungskritische Meinungsforscher sprechen von 20 Prozent Stimmenpotential.

Ähnlichkeiten zur AKP

Doch könnten Akşener wirklich demokratischen Fortschritt für die Türkei bringen? Das Parteiprogramm verspricht Rechtsstaatlichkeit, eine Rückkehr zum parlamentarischen System sowie eine neue demokratische, pluralistische und liberale Verfassung. Dazu säkulare Bildung, Stärkung der Frauenrechte, ein sozialeres Wirtschaftsprogramm – die Ziele der „Guten Partei“ klingen ansprechend, aber wenig konkret.

Vieles ähnelt rhetorisch der Regierungspartei AKP, kommentiert der Analyst Onur Deniz auf dem Portal Sigma Insight Turkey. „Meral Akşener stand während der AKP-Gründung Tayyip Erdoğan sehr nahe. Es bleibt abzuwarten, wie lange es dauern wird, bis eine Bewegung mit der gleichen erprobten Rhetorik Unterstützung findet, besonders wenn man bedenkt, dass ihre Gründerin immer zu den radikalen Rechten gehörte und mutmaßlich für die unaufgeklärten politischen Morde der 90er Jahre verantwortlich war.“

Heftige Gefechte

Damit spielt der Analyst auch auf die harte Kurdenpolitik Akşeners während ihrer Amtszeit als Innenministerin an. Im neuen Parteiprogramm wird der Kurdenkonflikt nur in einem Absatz erwähnt: Die Sicherheitskräfte sollen ihren bewaffneten Kampf gegen die Terrororganisation PKK „mit kompromissloser Härte“ fortführen.

Interessanter hingegen, dass eine ihrer ersten Wahlkampftouren im Dezember sie ins kurdische Cizre und Şırnak führte. Dort fanden zwischen 2015 und 2016 die heftigsten Gefechte zwischen PKK und türkischen Sicherheitskräften in den vergangenen zwei Jahren statt, Hunderte Menschen starben oder wurden verletzt. Gewöhnlich sind das keine Wahlkampforte für Nationalisten. Akşener wagt mit ihrem Besuch zumindest eine Geste an die Kurden.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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