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„Ein Versuch, den Kaukasus friedlicher zu machen“

von Kai Doering · 6. Februar 2014

Am Freitag beginnen die olympische Winterspiele in Sotchi. Überschattet werden sie schon jetzt von Kritik an repressiven Sicherheitsvorkehrungen und dem Boykott westlicher Politiker. Im Interview mit vorwärts.de warnt der Russland-Experte Reinhard Krumm vor einer Vorverurteilung Russlands.

vorwärts.de: Freuen Sie sich auf die olympischen Winterspiele in Sotchi?

Reinhard Krumm: Olympische Winterspiele sind immer ein Highlight. Ich bin sehr gespannt, wie sie in Sotchi sein werden. Die Stadt liegt am Schwarzen Meer in der Kaukasus-Region und damit in einem von Konflikten gezeichneten Raum. Aus sportlicher Sicht hoffe ich für die Sportler auf gute Wintersportbedingungen was natürlich nicht ganz einfach ist für einen Ort, der sonst eher Badegäste anzieht.

Sotchi und seine Umgebung sind für die olympischen Spiele ziemlich auf den Kopf gestellt worden. Was bedeutet die Veranstaltung für die Region?

Vor einigen Jahren erarbeitete die russische Regierung ein Konzept für den nördlichen Kaukasus. Zum Verständnis: Sotchi grenzt an Abchasien, also den südlichen Kaukasus. Das Konzept basiert auf Wirtschaftsförderung, Sport und Freizeitgestaltung. Die Winterspiele sind als ein Teil davon zu sehen und ein Versuch, den Kaukasus friedlicher zu machen. Ob das gelingen wird, bleibt freilich abzuwarten. Russland hätte mit diesen Spielen gern einen ähnlichen Effekt, wenn auch in einem kleineren Maßstab, wie Deutschland mit der Fußball-WM 2006, also ein neues Bild des Landes zu präsentieren. Keine einfache Aufgabe im Moment.

Die Spiele sind mit Investitionen von bisher rund 37 Milliarden Euro die teuersten der olympischen Geschichte. Woher kommt das viele Geld?

Das kann ich nur vermuten. Zunächst finanziert der Staat. Die olympischen Winterspiele sind schließlich – genau wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 – auch ein Prestigeprojekt. Bei einer solchen Summe wurden aber sicher auch die Schatullen vermögender Geschäftsleute der Oberklasse geöffnet.

Auch die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Human Rights Watch hat bereits davor gewarnt, die Spiele würden in einer „Atmosphäre der Angst und Einschüchterung“ stattfinden. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Mit einer solchen pauschalen Beschreibung der Verhältnisse wäre ich vorsichtig. Ja, Terroranschläge gilt es in einer ohnehin sehr unsicheren Region zu verhindern. Gleichwohl sind derartige Großereignisse immer mit umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen verbunden. Das war übrigens bei den letzten olympischen Spielen in London nicht anders, ganz zu schweigen von Peking. Das macht die Sache nicht besser. Zumal in Sotchi wohl viele Neubauten ohne Rücksicht von Anwohnern durchgesetzt wurden. Und trotzdem: Die Verhältnisse schon im Vorfeld zu verurteilen, nur weil sie in Russland stattfinden, halte ich für einen Fehler. Wenn die Spiele vorbei sind, sollte man eine ehrliche Bilanz ziehen und Schlüsse für weitere Spiele ziehen.

Namhafte Politiker, allen voran Bundespräsident Joachim Gauck, wollen die Winterspiele dennoch boykottieren und verweisen auf die Menschenrechtssituation in Russland.

Ob man in diesem Fall von einem Boykott sprechen kann, bezweifle ich. Bei Veranstaltungen wie den olympischen Spielen werden Einladungen ausgesprochen. Die kann man annehmen oder eben nicht. Fachpolitiker, die sich um den Sport kümmern, sollten mit einer bunten Delegation nach Sotchi fahren, mit den Menschen über Minderheiten reden, deren Rechte und sich ein Bild vor Ort machen. Olympische Spiele insgesamt zu boykottieren, wie es die westlichen Staaten etwa 1980 in Moskau getan hat, halte ich für schwierig. Die russische Gesellschaft, insbesondere in Sotchi, weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten im eigenen Land, möchte aber in Kontakt treten mit Gästen aus aller Welt. So eine Chance wie ein Fest Olympia ergibt sich meist nur einmal im Leben.

Ende vergangenen Jahres hat Präsident Putin eine weit reichende Amnestie erlassen. In ihrem Rahmen kamen Michail Chodorkowski und zwei Mitglieder der Band „Pussy Riot“ frei. Sehen Sie einen Zusammenhang zu den jetzt beginnenden Spielen?

Der lässt sich nur vermuten. Natürlich kann es sehr gut sein, dass Putin kurz vor Beginn der olympischen Winterspiele mit der Freilassung gut Wetter im Westen machen wollte. Allerdings sind eigentlich die Zeiten vorbei, in denen Länder derart auf die Reaktion anderer Staaten angewiesen waren. Die Freilassung Michail Chodorkowskis wurde ja lange vorbereitet – nicht zuletzt von deutscher Seite.

Dr. Reinhard Krumm ist Leiter des Referat Mittel- und Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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