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Über Gradac ist gerade die Sonne aufgegangen. Zeljko, einer der Fischer des 3000-Einwohner-Ortes, ist gerade von seiner Tour zurückgekehrt. Wie jeden Morgen, an sieben Tagen in der Woche, war er gegen fünf Uhr aufgebrochen, hatte sein Boot gestartet, welches nur einige Meter von seinem Wohnhaus entfernt liegt, war die Treppen zum historischen Hafen heruntergegangen, um den Fang einzusammeln, die Fische und Meerestiere, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreitet und seine Frau und die beiden Kinder zu ernähren versucht.

Alltag eines Fischers

Zeljko, ein südländischer Typ von sportlicher Statur, hat sich auf einen Stuhl gesetzt, direkt auf dem schmalen Gehweg, der die beiden strahlend weißgetünchten Häuser trennt, die sich schon seit Urzeiten im Familienbesitz befinden. Er lebt mit seiner Familie in dem zweistöckigen Bau. In dem anderen Haus gleich gegenüber befinden sich die geschmackvoll eingerichteten Appartements für Touristen. Während der Reisesaison bietet sie Zeljko zur Vermietung an. Ein Appartement hat er nach seiner Frau Tina benannt.

Die Adria schimmert smaragdgrün im Morgenlicht, Palmen und Pinien schmiegen sich sanft im Wind. Um diese Uhrzeit sind die feinen Kieselstrände noch menschenleer, die Touristen werden erst im Laufe des Vormittages eintreffen.

Zeljko, 42 Jahre alt, ist schon seit einem Vierteljahrhundert Fischer und steht damit in der Familientradition. Er fuhr schon zur See, als es Jugoslawien noch gab, der Staat, in dem er geboren wurde, als dessen Staatsbürger er aufgewachsen ist und den er heute fast vergessen hat, wie er behauptet.

Zwischen Tradition und Moderne

Wie lange diese Familientradition noch anhalten wird, weiß er nicht. Sein Bruder hält sich mühsam als freier Journalist über Wasser und hat seinen Wohnort nach oben verlegt, in die majestätisch aufsteigenden Berge gleich hinter Gradac. Vielleicht auch aus Enttäuschung über die politische und gesellschaftliche Entwicklung Kroatiens 20 Jahre nach der Unabhängigkeit.

Auch Zeljkos 17-jähriger Sohn möchte nicht den Beruf seines Vaters ergreifen, arbeitet stattdessen als Postbote und nimmt gerade an einer Weiterbildung teil. "Wahrscheinlich weiß er, wie schwer sein Vater arbeiten muss. Ich kann es ihm nicht verdenken", kommentiert Zeljko die Entscheidung seines Sprösslings.

Zeljko nippt an einer Tasse Tee, zu ihm gesellt sich seine Frau Tina, eine schlanke Dame mit langen, rotblonden Haaren, ursprünglich aus Slawonien stammend, jener Region im Nordosten Kroatiens, die am heftigsten vom Krieg heimgesucht wurde und sich bis heute noch nicht davon erholt hat. Vor 20 Jahren, am 25. Juni 1991, erklärte Kroatien zusammen mit Slowenien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien. Der darauf folgende Krieg endete erst 1995, seine Folgen sind bis heute sichtbar. Das historische Datum der Unabhängigkeit löst bei den meisten Einwohner Gradacs keine euphorischen Gefühle aus.

Wut über die Machthaber

Über den Krieg möchte Zeljko nicht reden, kann sich aber nicht zurückhalten: "Nach dem Krieg kamen die Arschlöcher an die Macht, diejenigen, die während der blutigen Auseinandersetzungen im Ausland hockten, während meine Generation den Kopf hinhalten musste, ohne Geld verdienen oder berufliche Qualifikationen erlangen zu können. Kaum war der Krieg zu Ende und die gefallenen Kameraden begraben, kamen sie zurück, hefteten sich irgendwelche Orden an die Brust, mimten die Hyper-Patrioten, kauften alles auf und teilten die Posten unter sich auf. Meine Generation ging leer aus."

Zeljko stellt die Tasse auf dem Tisch ab. "Wenn Kroatien der EU beitritt, dann gebe ich meinen Beruf als Fischer auf. Dann werde ich versuchen, nur noch von den Einnahmen durch den Tourismus zu leben."

Der Tourismus ist in Gradac wie überall in Kroatien auf Wachstumskurs. Das Magazin Merian widmet sich in seiner neuesten Ausgabe dem aufstrebenden Reiseziel Kroatien. Schon im Jahr 2005 kürte der Reisführer Lonely Planet die junge Nation zu "one of the most desirable tourist destinations in the world". Das verwundert nicht, denn auf relativ kleinem Gebiet findet man in Kroatien traumhafte Landschaften, majestätische Bergkulissen, kristallklare Flüsse und Seen, mediterrane Traumstrände neben malerischen Städten und ein reiches kulturelles Erbe.

Ein Idyll, beliebt bei Touristen

Kroatien verändert sich rasant. Die neuen Verkehrswege verkürzen die Entfernungen aus Mittel- und Westeuropa drastisch und gerade erst hat man begonnen, das touristische Potenzial zu erschließen.

Nur ein paar Gehminuten entfernt, direkt an der Promenade, genießen Anka und ihre Freundinnen ein Frühstück im Café. Anka, Anfang zwanzig, in deren Blick sich Fernweh spiegelt, ist erst gestern mit ihrer Reisegruppe in Gradac eingetroffen: "Man sagt ja immer, oben im Himmel sei es schöner als in Dalmatien, aber ich glaub das nicht", sagt sie lachend.

"Dieses Licht, der strahlend blaue Himmel, das Meer, die Berge, diesen Ort muss man doch einfach lieben", fügt sie jauchzend hinzu. Anka, gebürtige Polin, seit einigen Jahren in der Slowakei als Fitnesstrainerin tätig, wird von Ihrer Freundin Jolanka aus Bratislava unterbrochen: "Schon meine Eltern haben das ganze Jahr für den Urlaub an der Adria gespart."

Drazen, Betreiber eines Imbisses direkt an der Promenade, bestätigt: "Tschechen, Slowaken, Polen und Slowenen stellen das größte Kontingent an Touristen dar. So war es auch schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs." Im Sommer sei Gradac ein einziger "Slawen-Grill", sagt der junge Mann mit Augenzwinkern, aber der Anteil deutscher Touristen steige.

Kriegsausbruch 1991

Drazen, der in Gradac geboren wurde, erinnert sich an den Tag, als der Krieg in die Stadt kam. "Es war eines Morgens im September 1991. Wir waren gerade wach geworden, als eine ganze Armada von Kriegsschiffen der jugoslawischen Volksarmee vor Gradac lag. Ein bedrohliches Bild!" Wenig später begann der Beschuss der benachbarten Hafenstadt Ploce. Zusammen mit seiner Familie verließ Drazen damals die Region, die zunehmend in einem blutigen Bürgerkrieg versank.

"Gradac hat glücklicherweise nichts weiter vom Krieg abbekommen" sagt der Jungunternehmer bei einem Bummel durch den mitteldalmatinischen Ort. "Ich habe schon einiges von der Welt gesehen. Für mich ist Gradac aber der schönste Platz auf der Erde", fügt er leise hinzu, während sein Blick über die Häuser schweift, hin zu den mit Mandel- und Olivenbäumen bepflanzenen Hügeln.

"Lang lebe der Genosse Tito!" hat jemand in schwarzen Buchstaben auf eine Wand gesprüht. Der Name"Tito" aber wurde später mit nationalistischen Schmähungen überdeckt. "Jugo-Nostalgie empfinde ich nicht, obwohl damals nicht alles schlecht war", bekennt Herr B., ein eleganter, älterer Mann, auf die Vergangenheit angesprochen. "Jugoslawien war eigentlich Serbien" führt Herr B. hinzu, der nicht will, dass sein vollständiger Name veröffentlicht wird.

Tourismus als zweites Standbein

Während er die Bananenstauden in seinem Garten gießt, berichtet er über seine Versuche, im Tourismus Fuß zu fassen. Wie die meisten Einwohner von Gradac bietet auch Herr B. einige Zimmer in seinem Elternhaus - einer stattlichen, honiggelben Villa - zur Vermietung an. Seine Frau betreibt ein kleines Geschäft mit Kunstgegenständen und Souvenirs. Die Liebe zu Bananenstauden hat Herr B. aus Kenia mitgebracht, wo er einst als jugoslawischer Diplomat diente.

"Ist das nicht merkwürdig? Zu jugoslawischen Zeiten wurde ich nicht weiter befördert, weil ich Kroate bin. Vom unabhängigen Kroatien bekomme ich keine anständige Rente, weil ich dem untergangenen jugoslawischen Staat gedient habe", stellt er nachdenklich fest, während sein Blick über die Terrasse auf das offenen Meer gleitet. Zu einem möglichen EU-Beitrittes seines Landes sagt er: "Ist das nicht eher etwas für die großen Staaten in Europa?"

Am Nachmittag: Die Sonne brennt heiß vom wolkenlosen Himmel. Die Touristen drängen sich am Badestrand, liegen in der Sonne, schwimmen im Meer, während die meisten Einheimischen sich auf schattigen Plätzen aufhalten und die Fensterläden geschlossen halten.

Ausflug ins Hinterland

Drazen lädt zu einer Spritztour an die nahe gelegenen Bacina-Seen ein. "Es ist bedauerlich. Die meisten Touristen bleiben nur am Strand, dabei hat das Hinterland dieser Gegend auch wunderschöne Landschaften zu bieten", erzählt er während der Fahrt. Einige Minuten später, auf der Küstenstraße Richtung Ploce, erscheinen die Seen. Es sind schimmernde, türkisfarbene Gewässer in der grünen Gebirgslandschaft.

Zu Fuß geht es weiter über schmale Pfade, vorbei an Orangen- und Feigenbäumen, entlang der sechs miteinander verbundenen Binnengewässer. "Wo gibt es schon so etwas", schwärmt Drazen: "Nur acht Kilometer vom Meer eine unberührte Seenlandschaft, das alles unter dalmatinischer Sonne."

Auf der sogenannten Adrenalinbrücke, die über zwei Seen führt, verweilt Drazen für einen Augenblick und genießt die frische Brise, die vom Gewässer aufsteigt. Um die Seen herum liegen vereinzelt Häuser mit Blumenbeeten, Bäumen und Obstgärten. "Hierher kommen wir immer, wenn es uns unten in Gradac zu heiß wird. Diese Insel da vorne wird im Volksmund Liebesinsel genannt" erklärt er schmunzelnd. "Gelegentlich fahren die kroatischen Kellner mit ihren Urlaubsbekanntschaften dort hin, um einige Stunden ungestört sein zu können", sagt er lachend. "Viele der hiesigen Anwohner bieten gerne Zimmer für Urlauber an, die Gegend eignet sich speziell für den Öko-Tourismus."

Abendstimmung in Gradac

Zurück in Gradac ist es Abend geworden. Touristen flanieren entlang der Promenade, die Restaurants und Bars sind gut besucht. Junge Leute wandeln am Strand und unterhalten sich flüsternd. Vom Meer ist eine leichte Brise aufgekommen, die jodhaltige Luft vermischt sich mit dem Geruch von gebratenem Fisch, der in den Gaststätten serviert wird. Der Himmel hat sich orangerot in der Dämmerung verfärbt.

Unten am Hafen ist Fischer Zeljko gerade damit beschäftigt, sein Boot mit Kanistern und Ködern zu beladen. Gleich wird er wieder in See stechen, um die Netze auszulegen. "Morgen wird es ablandigen Wind geben", sagt er und verweist auf eine farbige Luftspiegelung im Himmel, auch als "blinde Sonne" bekannt. EinigeTouristen strömen lachend in Richtung eines Ausflugsdampfers. Zeljko schaut der Gruppe nachdenklich hinterher.

"Es muss schön sein, so zu leben, einmal Urlaub machen zu können", sagt er leise. "Aber dafür kann ich dort arbeiten, wo andere Urlaub machen", fügt er hinzu, während er den Motor seines Bootes startet.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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