Die Ukraine hat im Krieg gewählt. Und die Bevölkerung hat sich trotz vieler Behinderungen im Osten entschieden. Neuer Präsident der Ukraine wird Petro Poroschenko.
Petro Poroschenko hat Julia Timoschenko mit großem Abstand geschlagen. Der 48jährige Unternehmer kündigte noch am Wahlabend an, er wolle den Krieg an der Grenze zu Russland beenden und die Ukraine auf „den Weg einer europäischen Integration führen“. Für Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist das Wahlergebnis „ein Signal der Einheit“. Nach seinen Worten muss es nun auch Signale an die Ostukraine geben, um für die Bevölkerung dort mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen.
Soweit ist es noch lange nicht. Das hat auch dieser Wahltag gezeigt. In den Industriestädten Luhansk und Donezk hat die Regierung in Kiew längst nichts mehr zu sagen. Und eine wirkliche Wahl hat es hier für die etwa fünf Millionen Abstimmungsberechtigten auch nicht gegeben. Die bewaffneten Banden einer selbsternannten Volksrepublik haben die Abstimmung verhindert: Sie zerschlugen Wahlurnen, schüchterten Wahlhelfer ein und entführten Angehörige von Wahlkommissionen. Völlig ungestört von der örtlichen Polizei. So hatte in der Stadt Donezk nicht ein Wahllokal geöffnet. Im Landkreis Donezk hatten nur 20 Prozent aufgemacht. Uniformierte Kämpfer zogen durch die Stadt, grölten, schossen in die Luft, zogen vor das Grundstücke des Oligarchen Rinat Achmetow und beschimpften ihn als Volksfeind.
Ein Land, aber kein Staat mehr
Der künftige Präsident, auch ein sehr reicher Mann, hat viele Probleme, aber ein ganz großes: Im Land Ukraine gibt es keinen Staat mehr. Der ist in den zurückliegenden 23 Jahren seit der ersten Präsidentschaftswahl 1991 ausgeraubt, ruiniert und zertrümmert worden. Die Ergebnisse sind zu besichtigen und sie sind verheerend. Eigentlich braucht der neue Präsident Zeit, gute Berater und Frieden im Donbass. Alles drei hat er nicht. Die große Mehrheit in der Ukraine wollte einen neuen Präsidenten und auf keinen Fall Julia Timoschenko. Aber die große Mehrheit der Bevölkerung ist auch müde und ausgelaugt, schlecht und unregelmäßig bezahlt, in Teilen verarmt. Die Infrastruktur ist ziemlich kaputt. Das gilt für die Einsenbahn wie für das Straßennetz. Es gibt keine funktionierende Polizei, auch keinen funktionierenden Zoll. Die Armee ist in einem beklagenswerten Zustand. Der Geheimdienst SBU arbeitet offenbar in weiten Teilen den russischen Kollegen vom FSB zu.
Petro Poroschenko, ein enger politischer Verbündeter von Vitali Klitschko, hat angekündigt, er werde als erstes in die Ostukraine fahren. Dort zuverlässige Gesprächspartner bei den sich selbst so bezeichnenden Separatisten zu finden ist ausgesprochen schwierig. Sie erkennen die Wahl vom Sonntag nicht an und wollen den Anschluss an Russland. Es sieht nicht so aus, als wenn Moskau sie haben will. Doch ohne Moskau ist der Konflikt nicht zu lösen, was eine baldige Reise Poroschenkos dorthin sehr wahrscheinlich macht. Danach muss er nach Brüssel. Der neue Präsident und die Übergangsregierung brauchen Geld. Sehr viel Geld. Das ist nach Stand der Dinge nur von der EU sowie den USA zu erhalten.
Erleichterung bei EU-Politikern
Dort herrscht große Erleichterung, dass die Wahl überhaupt stattgefunden und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nicht gewonnen hat. Sie geht mit ihrer Vaterlandspartei in die Opposition und will von dort aus versuchen, bei den voraussichtlich dann im Herbst stattfindenden Parlamentswahlen ein gutes Ergebnis zu erzielen. Bis dahin muss der neue Präsident seine Machtbasis ausgebaut haben. Vitali Klitschko wird ihm dabei helfen. Der hat die Wahlen in Kiew gewonnen und wird Bürgermeister. Nach zwei vergeblichen Versuchen 2006 und 2008. Knapp zehn Jahre nach der orangenen Revolution hat Petro Poroschenko, das neue Staatsoberhaupt, am Wahlabend gesagt, er will den Dialog mit Russland suchen. Die Okkupation der Krim werde er niemals anerkennen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).