Offizielle Begeisterung herrscht in Russland: Die Spiele mögen beginnen, ist der Tenor in den Medien. Russland feiert sich und seinen Präsidenten Wladimir Putin. Kritik ist nicht erwünscht. Weder aus dem Ausland, schon gar nicht aus dem Inland.
Es ist ein betörendes Licht, das die im Schwarzen Meer untergehende Sonne über das dunkle Wasser in den Hafen von Sotchi schickt, auf die Uferpromenade an den wenigen alten Hafengebäuden wirft und die langen Schatten der tropischen Bäume auf das Pflaster der Wege schickt. Es sind die schönsten Augenblicke in dieser aus allen Baunähten platzenden Stadt an der russischen Riviera. Knapp 350 000 Menschen leben in Sotchi, das an einer einst verträumten Meeresküste und an den ersten hohen Kämmen des Kaukasus liegt – einem Nationalpark. Das mit der verträumten Meeresküste ist längst Geschichte und in den Nationalpark entlang des Flusses Msymta hinauf nach Krasnaja Poljana, ins Rote Tal, haben die russische Regierung und staatliche Unternehmen kräftig hinein gebaut. Für die Olympischen Winterspiele.
Der Umweltschützer Wladimir Kimajew hält die für eine Tragödie: „Das dreiwöchige Fest ist ein Verbrechen gegen die Natur und vor allem gegen die Menschen.“ Dieser Ansicht sind der Präsident Wladimir Putin und der russische NOK-Präsident Alexander Schukow überhaupt nicht. Sie wollten die Spiele in Russland, in Sotchi am Schwarzen Meer haben, das auf dem gleichen Breitengrad wie Nizza liegt.
Kritiker sprechen von Verschwendung und Naturzerstörung
Winterspiele in den Subtropen. Dass hat es noch nie gegeben. Und Ausgaben von 50 Milliarden Dollar für eine solche Veranstaltung auch nicht. Russische Kritiker, von denen die meisten namentlich nicht genannt werden wollen, sagen: Es ist ein Fest der Gigantomanie. Es ist ein Fest der Verschwendung und es ist ein Fest der Naturzerstörung.
Der Msymta-Fluss ist nur ein Beispiel. An ihm entlang führen die neue Schnellstraße und die neue Schnellbahn: Beide Trassen wurden aus dem Boden gestampft. Tunnel wurden gebohrt. Brücken gebaut. Bauschutt und Müll, teilweise kontaminiert, flogen in den Fluss, der noch vor gar nicht langer Zeit für die Wasserversorgung von Sotchi wichtig war und in dem das Wasser aus dem Kaukasus ins Meer fließt.
Grau vom Baustaub sind die Ufer dieses einst idyllischen Flusses, der, wie Wladimir Putin es formulierte, durch „das größte Bauprojekt auf diesem Planeten“ fließt. Und durch das teuerste. Es wird so teuer, dass selbst der Kremlherr seit einiger Zeit erschrocken scheint.
Den einstigen Chef der Großbaustelle und Olympiafunktionär, Magomed Bilalow, hat er schon vor einem Jahr gefeuert. Der ist daraufhin zusammen mit seinem Bruder ins Ausland geflohen. Doch ist auch in den zurückliegenden zwölf Monaten keine funktionierende Finanzkontrolle an irgendeiner Stelle der russischen Administration oder des Nationalen Olympischen Komitees aufgetaucht.
Gigantischer Sicherheitsplan
Geblieben ist das Gigantische. Das gilt auch für den Sicherheitsplan von Sotchi. Es gibt in der Geschichte Russlands kein Ereignis, für das derart viel Sicherheitstechnik und uniformierte Einheiten aufgeboten worden sind. So gibt es beispielsweise eine kontrollierte sowie eine verbotene Zone. In Letztere dürfen nur autorisierte Menschen, die beruflich mit den Winterspielen zu tun haben, betreten. Die kontrollierten Zonen sind für die Besucher. Die müssen ihre Eintrittskarten und ihren Ausweis bei sich führen. Die Olympiatrasse ist lediglich für den Transport der Athleten und der Funktionäre bestimmt. Niemand sonst darf sie befahren. Die elektronischen Überwachungssysteme sind weltraumgestützt. Jeder Gast wird kontrolliert, jeder Einwohner auch. Trotz aller Probleme, es gibt auch Begeisterung und Stolz in Sotchi. Auch bei jenen, die diese Gigantomanie und Verschwendung kritisieren.
Einer von ihnen ist Semjon Simonow. Er gehört zu denen, die das Elend der Arbeiter auf den olympischen Baustellen dokumentiert haben. Er wollte sich das Eishockeyspiel USA – Schweiz anschauen. Daraus wird wohl nichts werden. Die Sicherheitsbehören wollen ihn nicht in die riesige Halle reinlassen. Simonow will sich mit einer gerichtlichen Entscheidung Eingang verschaffen. Der Ausgang ist offen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).