„Ein Grexit muss keine Katastrophe für Griechenland sein“
Die Eurogruppe hat sich am Wochenende darauf verständigt, das Hilfsprogramm für Griechenland nicht zu verlängern. Was bedeutet das für das Land?
Zuallererst bedeutet es, dass Griechenland große Schwierigkeiten haben wird, den Kredit des Internationalen Währungsfonds zu bedienen, der am Dienstag fällig wird. Und auch mit den danach anstehenden Zahlungen könnte es schwierig werden.
Was passiert, wenn Griechenland den fälligen IWF-Kredit von 1,54 Milliarden Euro nicht zurückzahlen kann?
Wenn man ehrlich ist, hat der IWF kaum Möglichkeiten, sich das Geld von Griechenland zurückzuholen. Der Währungsfonds kann zwar andere Zahlungen, die an das Land fließen würden, einfrieren. Griechenland kann auch auf internationaler Ebene geächtet werden. Aber der IWF hat keinerlei Möglichkeiten, etwas in Griechenland zu pfänden. Direkt wird es also keine Folgen für Griechenland haben, wenn es den Kredit nicht bedienen kann. Ob es indirekt Folgen haben wird, hängt vor allem davon ab, wie die Europäische Zentralbank damit umgehen wird, ob sie etwa eine Nichtzahlung an den IWF als einen Zahlungsausfall des Landes insgesamt werten wird. Die Rating-Agenturen haben allerdings bereits signalisiert, dass sie die Vorgänge nicht so bewerten würden.
Ihre Beschreibungen klingen wenig dramatisch. Warum ist Europa dann so in Aufregung?
Nach dem IWF steht noch eine Reihe weiterer Rückzahlungen an, u.a. an die Europäische Zentralbank. Wenn Griechenland hier nicht zahlt, werden die Probleme deutlich größer sein. Die EZB könnte sich bei einem Zahlungsausfall nämlich überlegen, keine weiteren Kredite an die griechischen Banken zu vergeben, die griechische Staatsanleihen als Sicherheiten brauchen. Wenn es so weit kommt, dass die EZB diese nicht mehr als Sicherheit akzeptiert, sind die griechischen Banken bankrott, weil sie keinerlei Zugang mehr zu Liquidität haben und ihre Kunden nicht mehr auszahlen können.
Um den Kapitalabfluss zu begrenzen hat die griechische Regierung veranlasst, dass die Banken bis zum 6. Juli geschlossen bleiben und jeder Sparer nur noch 60 Euro pro Tag vom Konto abheben kann. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?
Das ist das Sinnvollste, was die griechische Regierung im Moment machen konnte, nachdem die EZB am Sonntag beschlossen hat, keine zusätzlichen Notkredite an die griechischen Banken zu vergeben. Diese haben damit nur noch das Bargeld zur Verfügung, das in ihren Tresoren lagert. Um zu verhindern, dass Sparer mehr Geld abheben als da ist, mussten die Abhebungen begrenzt werden.
Hätten die griechische Regierung diesen Schritt eher gehen müssen?
Dazu gab es bislang keinen Anlass. Solange die EZB Notkredite erlaubt hat, gab es keine Probleme für die griechischen Banken, sich mit Bargeld zu versorgen. Sollte es tatsächlich zum Ausstieg Griechenlands aus dem Euro kommen, wäre es für die griechischen Sparer am besten, möglichst viel Bargeld abgehoben und zuhause zu haben, da dies seinen Wert nicht verliert und die Griechen damit immer noch im Ausland einkaufen können.
Es wird schon darüber spekuliert, Griechenland könnte künftig zwei Währungen haben: eine für den inländischen Zahlungsverkehr und den Euro für Im- und Exporte. Kann so etwas sinnvoll sein?
Solch ein Modell ist nichts Ungewöhnliches. Wir kennen es etwa aus Entwicklungs- und Schwellenländern, dass dort zwei Währungen zirkulieren – eine offizielle für den Alltagsgebrauch und eine inoffizielle ausländische Währung, die wertstabil ist und für größere Anschaffungen wie Immobilien und ähnliches sowie zum Sparen genutzt wird. Die Entstehung eines solchen Systems wäre wahrscheinlich, wenn Griechenland zur Drachme zurückkehren würde.
Seit dem Wochenende ist der Austritt Griechenlands aus dem Euro, der sogenannte Grexit, ein Stück näher gerückt. Was würde er für das Land bedeuten?
Zunächst würde es die Einführung einer neuen Währung bedeuten, die gegenüber dem Euro deutlich abgewertet ist. Die Verbraucherpreise würden damit erstmal deutlich steigen. Löhne, Gehälter, Renten und andere Sozialleistungen würden an Wert verlieren, die Lebensqualität der Betroffenen dürfte zurückgehen.
Ein Grexit würde die Situation im Land also deutlich verschärfen.
Kurzfristig ja. Mittelfristig kann man aber hoffen, dass die griechische Wirtschaft mit der abgewerteten Drachme wettbewerbsfähiger ist, wieder mehr exportiert und damit mehr Jobs schafft. Es ist umstritten, wie schnell das funktionieren und wird wie positiv die Folgen sein werden, aber die Geschichte zeigt, dass ein solcher Schritt einer Volkswirtschaft durchaus gut tun kann. Und wenn ein Griechenland-Urlaub nur noch die Hälfte kostet, wird das Land auch für ausländische Besucher wieder attraktiver.
Würden Sie zu einem Grexit raten?
Aus meiner Sicht werden in Deutschland die negativen Folgen eines Grexits für Griechenland über- für den Rest der Eurozone dagegen unterschätzt. Wenn der Grexit vernünftig gemanagt wird, muss er keine Katastrophe für Griechenland werden. Kurzfristig wird es sicher Härten geben, aber der Grexit muss nicht zum totalen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft führen.
Was würde das für die anderen Länder der Eurozone bedeuten?
Ein Grexit hat das Potenzial, die Eurozone nachhaltig zu beschädigen. Die Finanzmärkte könnten den Eindruck bekommen, dass der Euro umkehrbar ist und Länder einfach aussteigen können. Das könnte weitere Kapitalflucht aus Italien oder Spanien auslösen. Eine Verschärfung der Eurokrise wäre die Folge. Das hätte auch Folgen für die deutschen Exporteure, die meiner Ansicht nach noch zu wenig gesehen werden. Die europäischen Institutionen sind auf einen solchen Fall kaum vorbereitet.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.