Er hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst zu kommen. "Heute ist Hans unter uns", begrüßte die FES-Vorsitzende Anke Fuchs den 83-Jährigen. Nils Minkmar von der FAZ moderierte den Abend mit
dem Protagonisten des Buches, dem ehemaligen Bundesfinanzminister Hans Matthöfer. Dies ist umso bemerkenswerter, da Matthöfers Abneigung gegen Interviews bereits zu seiner aktiven Zeit bekannt
war. Mit dabei waren auch der heutige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der Autor des vorgestellten Buches Werner Abelshauser und der Parlamentarische Staatssekretär im
Bundesumweltministerium, Michael Müller.
Nach dem Wirtschaftswunder
Die Diskussion begann mit dem Hinweis von Werner Abelshauser, dass sein
Buch nicht nur als Biographie aufzufassen sei, sondern vielmehr als wirtschaftsgeschichtliche Darstellung einer Ära, die
von der Neuorientierung nach dem Wirtschaftswunder geprägt war. Hans Matthöfer stellte sich den Herausforderungen, die die damalige Wirtschaftskrise mit sich brachte. Für Abelshauser war
Matthöfer eine der wirtschaftspolitischen Schlüsselfiguren der alten Bundesrepublik.
Der 1925 in Bochum geborene katholische Arbeitersohn bestimmte mit Geradlinigkeit und hoher fachlicher Kompetenz die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik nach der Ära Adenauer. Die
sozialdemokratischen Regierungen von 1966 bis 1982 erlebten einen tiefgreifenden Strukturwandel, der nur dank einer Modernisierung der westdeutschen Industriegesellschaft zu bewältigen war.
Fragen nach der Rolle des Staates, der Mitbestimmung und Vollbeschäftigung mussten neu beantwortet werden.
Lehren für die aktuelle Krise
Matthöfers Antworten von damals sind immer noch aktuell. Für den Historiker Abelshauser verdeutlicht die derzeitige Krise, dass der heutigen Politik der wirtschaftspolitische Maßstab fehlt.
Hans Matthöfer habe damals dagegen eine wohlüberlegte wirtschaftspolitische Strategie verfolgt. So ging es beim Podiumsgespräch weniger um Abelshausers Buch selbst, als vielmehr um die Frage, ob
und wie Erkenntnisse aus den 70er und 80er Jahren zur Lösung der heutigen Finanzkrise beitragen können.
Peer Steinbrück unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die besondere Herausforderung des Staates heute darin bestehe, einerseits den Haushalt zu konsolidieren, um langfristig
handlungsfähig zu bleiben. Andererseits müssten Investitionen in die Zukunft und dabei insbesondere in Bildung getätigt werden. Matthöfer zeigte sich beeindruckt von der Leistung des
Bundesfinanzministers, seines ehemaligen persönlichen Referenten aus den 80er Jahren, dessen Fähigkeiten er als erster erkannt habe. So blies Matthöfer mit seiner Forderung nach Erhöhung der
Investitionen in Technologie und Forschung in dasselbe Horn wie sein aktueller Nachfolger. Auch sollten seiner Meinung nach die unteren Einkommensklassen steuerlich entlastet werden, um die
Binnennachfrage zu stärken.
Altersrheuma und Geburtsschmerzen
Michael Müller schließlich kam zurück auf das Wirken von Hans Matthöfer. Er habe es verstanden, seinen Einsatz für Technologie, Menschenrechte und als Gewerkschafter eindrucksvoll
miteinander zu verbinden. Aus Müllers Sicht prägend war Matthöfers Kampf gegen den spanischen Diktator Franco und sein Engagement für Chile. Zur heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise bemerkte
Müller, dass wir uns am Anfang einer neuen Phase befänden, in der die Energie- und Technologiefragen bestimmend sind. Das "Altersrheuma der Finanzbranche" verbände sich derzeit mit den
"Geburtsschmerzen der Ära der neuen Technologien".
Rezension
des Buchs "Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer"
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